Brauner Sumpf im akademischen Milieu

Christian Becker im Gespräch mit Joachim Scholl · 11.07.2012
Seit einigen Jahren beobachtet der Burschenschafter Christian Becker einen Rechtsruck in deutschen Studentenverbindungen - auch in seiner eigenen. Einige "Bundesbrüder" seien NPD-Mitglieder, andere leiteten Kameradschaften, so Becker. Mit einer Initiative wehrte er sich - und landete vor Gericht.
Joachim Scholl: Norbert Weidner ist ein sogenannter Alter Herr der Burschenschaft der Raczeks zu Bonn. Aber ist er auch einer der Köpfe einer der rechtsextremen Bewegungen von Burschenschaftern, NPD und Kameradschaftlern? Genau diese Formulierung hat Christian Becker gewählt, auch ein Burschenschafter derselben Verbindung und aktiv als Gründer der Initiative Burschenschafter gegen Neonazis. Norbert Weidner hat sich gegen diese Äußerung verwahrt und Christian Becker verklagt. Heute wurde das Urteil am Bonner Landgericht gesprochen, und die Klage wurde abgewiesen. Er ist jetzt am Telefon, guten Tag, Herr Becker!

Christian Becker: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Sie haben Recht bekommen, Herr Becker. Fühlen Sie sich jetzt bestätigt und werden Norbert Weidner weiterhin einen rechtsextremistischen Kopf nennen?

Becker: Wir fühlen uns natürlich sehr bestätigt, wir machen ja seit etwa einem Dreivierteljahr, ringen wir mit rechtsextremen Burschenschaftern, gehen an die Öffentlichkeit und versuchen, rechtsextreme Burschenschafter so zu reizen, dass die uns vor Gericht ziehen. Die sind in die Falle getappt, haben es sozusagen getan und wir haben Recht bekommen, das bestätigt uns natürlich ungemein.

Scholl: Klären Sie uns einmal über ihre Beweggründe auf, Herr Becker, das Thema ist ja nicht so breit in der Öffentlichkeit bekannt. Es war auch historisch der erste Burschenschafts-Prozess überhaupt. Jene Verbindung, zu der Sie und Ihr Kontrahent als Alte Herren gehören, die Raczeks zu Bonn, was geschieht da Ihrer Meinung nach Ungutes?

Becker: Zu meiner Zeit waren wir demokratische Burschenschafter, wir haben uns eingesetzt sozusagen für die Demokratie im Kleinen. Als schlesische Burschenschafter haben wir versucht, eine Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen im kleinen Rahmen zu ermöglichen. Wir haben nach der Wiedervereinigung, sind wir in Schulen gegangen, haben übers Grundgesetz aufgeklärt, sozusagen, wir haben versucht, Demokratie lebendig zu machen.

Seit 1999, seitdem Herr Weidner bei uns Mitglied ist, verzeichnen wir einen deutlichen Rechtsruck. Mittlerweile sind wir nur noch 80 Mitglieder - zu meiner Zeit - das heißt, meine Zeit war bis 94 - waren wir 160. Das heißt, unsere Mitgliederzahl reduzierte sich mal eben um die Hälfte. Von den 80 sind 30 sehr, sehr rechte Burschenschafter und ...

Scholl: Wie äußert sich das, wenn Sie sagen, Rechtsruck? Was ist da konkret zu beobachten?

Becker: Wir haben Burschenschafter bei uns, die NPD-Mitglieder sind, wir haben Burschenschafter bei uns, die Kameradschaftler sind aus dem militanten Bereich. Ein Bundesbruder - so nennen wir uns - von mir leitet die Kameradschaft München. Der ehemalige Innenminister Bayerns, Günther Beckstein, hat diese Kameradschaft die "Braune Armee Fraktion" genannt. Das heißt, an ganz vielen Punkten können wir festmachen, dass es rechtsextreme Burschenschafter bei uns gibt, aber auch in anderen Burschenschaften.

Scholl: Und welche Rolle spielt jetzt Norbert Weidner in diesem konkreten Zusammenhang der Raczeks zu Bonn?

Becker: Norbert Weidner hatte ja eine militante Neonazivergangenheit in der FAP, einer rechtsextremen Organisation, die 1995 verboten wurde. Er war in der rechtsextremen Organisation HNG, er stand auch vor Gericht, wurde verurteilt in diesem Zusammenhang, kam aber zu uns und sagte - jetzt mal einfach gesprochen -, er war ein böser Bube, er ist geläutert. Und das haben ihm viele damals geglaubt. Seitdem machen wir einen deutlichen Ruck Richtung rechts aus.

Scholl: Und das hat Sie dann bewogen, also jetzt auch als Alten Herrn der Raczeks, politisch aktiv zu werden und gegen diese Tendenz vorzugehen?

Becker: Wir haben im letzten Jahr feststellen müssen, als wir im Juni Zeitung gelesen haben, dass eine Verbindung den Antrag gestellt hat, dass nur noch Arier Burschenschafter werden können, und als wir dann weiter gelesen haben, und gelesen haben, dass das unsere Verbindung war, die alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks, ist bei uns einfach, war das Fass übergelaufen, und wir haben uns sozusagen zusammengetan, einen Think Tank gegründet, um erst mal zu ermitteln, wie ausgeprägt das Problem ist. Und dann haben wir im Dezember die Initiative Burschenschafter gegen Neonazis gegründet und gehen seitdem vehement gegen rechtsextreme Burschenschafter vor.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Christian Becker von der Initiative Burschenschafter gegen Neonazis. Wie erklärt sich eigentlich, Herr Becker, dieser Drang der Rechten in die Burschenschaften? ist das einfach Gesinnungsverwandtschaft oder gibt es dafür anderer Gründe?

Becker: Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum Rechtsextreme für Burschenschafter sich interessieren: Es gab im Jahre '96 ein Konzept, einen Masterplan eines NPD-Chefideologen, und der sagte ganz deutlich - das ist sogar veröffentlicht -, Rechtsextreme, sickert in Burschenschaften ein, um deren Geld, Häuser und Strukturen zu nutzen. Der Hintergrund: Anfang der 90er wurden ganz viele militante rechtsextreme Verbindungen, das waren Kameradschaften, freie Kameradschaften, verboten, nach den Pogromen von Rostock, von Solingen und Hoyerswerda. Und die suchten eine neue Heimat, und fanden die aufgrund dieses Masterplans in Burschenschaften.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, warum interessieren sich Rechtsextreme so für Burschenschaften: Rechtsextreme haben nämlich ein Problem, sich zu versammeln, das sieht man daran, dass Rechtsextreme immer wieder versuchen, Häuser und Hotels zu kaufen, wo sie sich ungestört treffen können. Sobald die in eine Gaststätte gehen, ist der Verfassungsschutz dabei. Anders, wenn sie Mitglied einer Burschenschaft werden oder sich auch im Rahmen von Veranstaltungen dort treffen, da guckt ihnen niemand auf die Finger.

Scholl: Wie groß ist denn mittlerweile diese Unterwanderung, von der Sie sprechen? Das ist ja also aus neonazistischer Sicht eine clevere Strategie, sich diese Häuser zu krallen und dann relativ ungestört dort Versammlungen abzuhalten.

Becker: Man kann das ganz deutlich an Zahlen festmachen. Also es gibt 10.000 Burschenschafter in dem Dachverband, und davon sind über den Daumen gepeilt ungefähr 1.500 rechtsextrem. Die gehören einem Kartell an, was der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft, von dem die SPD sagt, dass es ein völkischer Kampfverband ist - die SPD schließt eine Doppelmitgliedschaft aus -, und das sind ungefähr 1.500 Burschenschafter.

Scholl: Heißt das aber auch, dass sozusagen schon gesamte Burschenschaften mit ihren Anwesen und Liegenschaften jetzt schon fest in rechtsextremistischer Hand sind zum Teil?

Becker: Also es gibt ganz viele Burschenschaften, die sind durch und durch rechtsextremisiert, sowohl bei ihren aktiven Studenten als auch bei den zahlenden Älteren Herren, so wie mit mir, als auch dann eben in den Führungspositionen, nämlich in dem Vorstand.

Scholl: Wie reagieren die Burschenschaften jetzt denn auf Ihre Initiative, Herr Becker? Finden Sie da Zuspruch, sind Sie doch eher ein Außenseiter, oder vielleicht sogar ein Verräter?

Becker: Es gibt drei Aspekte: Rechtsextreme Burschenschafter reagieren panisch mittlerweile, weil wir mit unserer Initiative ihre Bewegung ins Rutschen bringen. Wir schießen ja sozusagen medial und juristisch einzelne Köpfe an, und diese Bewegung ist hierarchisch orientiert, das heißt, wenn man dann Köpfe schwächt, kommt auch die ganze Bewegung unten drunter zum Rutschen.

Der zweite Aspekt sind die sogenannten liberalen Burschenschafter, von denen wir eigentlich gedacht haben, dass wir sie durch unsere Aktivität, nämlich das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, aktivieren könnten - da sind wir eindeutig gescheitert. Von 10.000 Burschenschaftern tun nur 20 Personen, 20 Burschenschafter, nämlich die zur Initiative gehören, etwas gegen. Dann aber gibt es wiederum einzelne liberale Burschenschafter - ich betone extra Personen -, von denen wir sehr viel Rückhalt und auch Bestätigung bekommen. Die sagen ganz deutlich, endlich benennt jemand das Problem, rechtsextreme Burschenschafter, beim Namen und tut was.

Scholl: Rechtsextremisten lassen ja auch nicht gern Angriffe auf sich sitzen, sondern beantworten sie. Haben Sie da auch schon Dinge erlebt?

Becker: Also es gab viele Dinge, von denen wir nicht juristisch nachweisen können, von wem sie ausgehen, aber seitdem wir mit dem Thema in die Öffentlichkeit gehen, sind viele Dinge passiert. Zum Beispiel Einschüchterungsversuche - uns wurden Taxis des Nächtens zugestellt, uns wurden Essensbestellungen zugestellt, uns wurden kostenpflichtige Zeitungsabos zugestellt, die wir nicht bestellt haben. Uns wurden Hunderte von Katalogen, Sex-Katalogen bis NPD, zugestellt, die wir nicht bestellt haben. Uns wurde ins Online-Banking eingebrochen, et cetera, et cetera. Wir können nicht nachweisen, von wem es kommt, aber es gibt Indizien.

Scholl: Inwieweit hilft Ihnen nun, Ihnen persönlich und Ihrer Initiative, dieses Urteil des Landgerichtes Bonn, das Ihnen ja jetzt erlaubt, weiterhin Ross und Reiter zu nennen.

Becker: Es ist ganz klar gesagt ein Meilenstein im Ringen mit rechtsextremen Burschenschaftern, weil es zum ersten Mal ermöglicht, dass wir das Thema akademischer Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit diskutieren können. Das war vorher nicht möglich, weil Burschenschafter werden erzogen, dass man das sozusagen im kleinen Kreis so was bespricht, also in der Familie hält.

Unsere Argumentation war, wir sind eigentlich in den Burschenschaften gescheitert, das Thema parlamentarisch anzugehen, deswegen müssen wir auch in die Öffentlichkeit gehen. Und dieses Urteil ermöglicht es uns zum ersten Mal, das öffentlich breit zu diskutieren, weil unserer Ansicht nach sind Burschenschaften, Burschenschafter ein wichtiger Aspekt, aber das Oberthema ist akademischer Neonazismus, dass die Neonazis nicht mehr so klischeemäßig die Glatzköpfe sind, sondern dass es ganz viele Akademiker auch gibt. Und das hat auch einen Hintergrund: Akademische Neonazis schreiben die Konzepte, machen die Parolen, und andere werfen die Brandsätze.

Scholl: Christian Becker von der Initiative Burschenschafter gegen Neonazis. Heute wurden in Bonn eine Klage gegen ihn abgewiesen, weil er einen Burschenschafter seiner eigenen Verbindung einen Rechtsextremisten nennt. Herr Becker, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Becker: Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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