"Boropa" zwischen Eisenstein und Hip-Hop

Von Martin Burkert · 26.09.2010
Unter dem neuen Motto "boropa", das Bochum und Europa verknüpfen will, glückt am Wochenende der Start des Bochumer Schauspielhauses unter dem neuen Intendanten Anselm Weber. Mit fünf Premieren an vier Tagen bietet das Haus ein breit gefächertes theatrales Spektrum. Der Chef selbst bringt die Uraufführung des sozialkritischen Stücks "Eisenstein" von Christoph Nußbaumeder auf die Bretter.
Eine solche Familiensaga ist im Theater selten, eher im Fernsehen zu sehen. Der 32-jährige Christoph Nußbaumeder baut ein dramaturgisch ausgeklügeltes Stationendrama. Es erinnert in Sprachführung und Dramaturgie an bayrische Volkstheatermacher wie Martin Sperr oder Franz Xaver Kroetz. Das Stück schlägt einen Bogen von 1945 bis 2008 und mischt die Szenen unaufdringlich mit Stationen der deutschen Geschichte.

Das titelgebende "Eisenstein" ist ein Dorf in Bayern an der Grenze zu Tschechien. Hier besitzt die Familie Hufnagel Landgut und Sägewerk. Der alte Josef Hufnagel stellt sich nach dem Krieg gut mit den amerikanischen Besatzern. Er schützt damit seinen Bruder, der bei der SS war, und die junge Erna. Die kam als Flüchtling aus Böhmen und bekommt ein uneheliches Kind. Es stamme, so behauptet Erna, von Josef. Damit es nicht als "Schande" angeprangert wird, erklärt die junge Frau nach außen, der Sohn sei von ihrem kriegsbedingt gestorbenen Verlobten. Die Geburt des Kindes, Georg, löst eine Kette von schicksalhaften Missverständnissen aus, die bis in die Jetztzeit reichen.

Der Autor zeichnet die bayrische Kleinbürgerwelt nicht schwarz-weiß. Seine Menschen sind weder böse noch gut. Sie kämpfen mit den Folgen des Krieges und den traditionellen Normen und Sitten. Die Schauspielerinnen und Schauspieler zeigen die Figuren sehr präzise mit knappen, deutlichen Gesten und finden eine gute Balance zwischen komischen und tragischen Haltungen. Anselm Weber inszeniert den Text respektvoll und klar nach vorne. Zu Anfang sind die Spielorte mit wenigen Versatzstücken markiert. Ein Heuwagen steht für den Bauernhof, ein mächtiger Holzstamm für das Sägewerk. Je weiter sich das Stück dem Heute nähert und Bayern an Wohlstand gewinnt, wird auch die Bühne aufwendiger möbliert.

Stück und Inszenierung von "Eisenstein" sind der konventionellste Beitrag der neuen Intendanz. Bei den anderen Stücken geht es deutlich experimenteller zu. So etwa bei "Candide oder der Optimismus" nach Voltaire, mit dem der Eröffnungsmarathon startet. Der tumbe Candide aus Westfalen erlebt unentwegt Krieg, Totschlag und Vergewaltigung und klebt dennoch an der These, dass er in der besten aller Welten lebt. Die niederländisch-deutsche Koproduktion inszeniert der Holländer Paul Koek als spartenübergreifendes Werk. Wie in seiner eigenen Gruppe "Veenfabrik" jongliert er variationsreich zwischen Musiktheater und Schauspiel, Erzähl- und Bildertheater. Manchmal fehlt das Tempo, dann aber wird man von den reichlich sprudelnden Ideen wieder überrascht.

Überraschend kommen auch zwei kleinere Produktionen auf die Bretter. Das Tanztheaterstück "Irgendwo", choreografiert von der ehemaligen Pina-Bausch-Tänzerin Malou Airaudo, ist der Auftakt der Residenz für die multi-kulturelle Gruppe "Renegade". Auf grandiose Weise findet hier eine Vereinigung statt von Tänzerinnen und Tänzern mit klassischer Ausbildung und solchen, die sich selbst Hip-Hop und Breakdance beigebracht haben.

Die internationale Ausrichtung des Hauses zeigt auch eine Theaterperformance mit afrikanischem Flair, eingerichtet vom Duo Monika Gintersdorfer und Knut Klassen. "Eleganz ist kein Verbrechen" erzählt die merk- und denkwürdige Geschichte von einem Menschen, der sich in einen Hund verwandelt und vereint Darsteller aus Deutschland und der Elfenbeinküste zu Tanz und Sprechgesang.

Auch der Klassiker des Wochenendes, "Der Sturm" von Shakespeare, bringt viel Musik, dazu Slapstick, Video und Ekel-Fantasien. Der 32-jährige Hausregisseur David Bösch lässt unterschiedliche Welten aufeinander treffen. Ruhig geerdet steht der seriöse Prospero auf der Bühne und beherrscht mit Zauberei die Insel. Stets unter Dampf winden und krümmen sich das Monsterwesen Caliban und der Luftgeist Ariel. Deren Tricks und Fertigkeiten werden vom Meister ausgenutzt. Zwei Theaterauffassungen prallen aufeinander, das ruhige von Sprache und Mitteilung geprägte und das fiebrige, bildbetonte von Comic und Fernsehen beeinflusste.

Es ist eine breite Palette des aktuellen Bühnenschaffens, die Anselm Weber und sein Team bieten. Der Auftakt von "boropa", ist geglückt. Mit dem Bochumer Schauspielhaus ist in der deutschen Theaterszene wieder zu rechnen.