Böhmer: Koalition wird sich "berappeln"

Moderation: Marie Sagenschneider · 10.07.2006
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) setzt trotz der aktuellen Streitigkeiten auf einen Fortbestand der großen Koalition in Berlin. Zwar sei das Bündnis von keiner Seite wirklich gewollt, räumte Böhmer ein. Die Verantwortlichen wüssten aber, dass sie zu einem gewissen Erfolg verpflichtet seien. Nach seinen Worten werden sich die Partner deshalb bald wieder "berappeln".
Marie Sagenschneider: Herr Böhmer, als wie schwerwiegend schätzen Sie denn diesen Streit ein? Werden wir rückblickend sagen, das war der Anfang vom Ende? Oder wird man sich wieder berappeln und doch vier Jahre durchhalten?

Wolfgang Böhmer: Also ich gehe davon aus, dass man sich wieder berappelt, und ich muss diese ganze Sache auch nicht so hochjubeln, wie ich das gelegentlich in den Medien lese oder höre. Es hat Probleme gegeben mit einer Koalition, die ohnehin niemand gewollt hat. Die aber wissen, dass sie auch zu einem gewissen Erfolg verpflichtet sind, und ich denke, das wird vorbeigehen.

Sagenschneider: Ja, aber noch ist dieser Streit ja nicht vorbei. Aus allen Ecken und Enden von Union und SPD werden ja wieder neue Forderungen auf den Tisch gelegt.

Böhmer: Gut, das heißt noch lange nicht, dass man sich darüber streiten muss. Es sind unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Zielvorstellungen, und jeder möchte sein eigenes Profil deutlich machen und sagen, dass er das eigentlich ganz anders möchte. Trotzdem gehe ich davon aus, dass die Verantwortlichen wissen, dass sie nur mit Streit keine Probleme lösen werden, und deshalb vermute ich schon, dass sich das wieder beruhigen wird.

Sagenschneider: Wenn wir jetzt mal bei der Gesundheitsreform bleiben, da waren die Vorstellungen ja sehr unterschiedlich. Aber es gab immerhin ein gemeinsames Ziel, und das hieß, Lohnnebenkosten senken. Jetzt hat man genau das Gegenteil beschlossen. Die Krankenkassenbeiträge sollen sogar steigen. Wie kann das passieren? Das versteht doch kein Mensch mehr.

Böhmer: Weil das bedeutet hätte, dass man die Steuern erhöht, entweder eine indirekte Steuer - und die Mehrwertsteuer ist um drei Prozent bereits angehoben worden - oder die Einkommensteuer hätte erhoben werden müssen. Ich möchte mal wissen, welche Sendungen und welche Kommentare abgeliefert worden wären, wenn jetzt noch einmal die Steuern erhöht worden wären. Insofern weiß jeder, dass die Möglichkeiten gar nicht so groß waren, wie wir eigentlich gehofft hatten.

Auch die CDU ist einmal davon ausgegangen und auf einem Parteitag beschlossen, dass die soziale Gerechtigkeit und der Sozialausgleich in der Gesellschaft über das Steuersystem organisiert werden soll. Sie hat diesem Ziel ja nicht abgeschworen, aber sie waren der Meinung, dass das gegenwärtig im Grunde genommen nicht machbar ist. Denn man muss wissen, was man den Bürgern zumutet, und da ist es jetzt zu einer Gebührenerhöhung gekommen, das ist auch nicht unbedingt schön, aber war die zwangsläufige Konsequenz daraus, wenn man von Steuererhöhungen und Umschichten jetzt absieht. Das heißt nicht, dass das Ziel für dauernd aufgegeben ist.

Sagenschneider: Aber wäre es da nicht besser gewesen, Herr Böhmer, die Gesundheitsreform zu verschieben und es dann gleich besser zu machen? Jetzt hören wir ja von Bundesfinanzminister Steinbrück schon, dass man in dieser Legislaturperiode noch einem zweiten Anlauf braucht, weil das, worauf man sich jetzt verständigt hat, hinten und vorn nicht hinkommt.

Böhmer: Also die Gesundheitsreform besteht ja nicht nur aus einnahmeseitigen Regulierungen. Da sind eine ganze Reihe Strukturveränderungen beschlossen worden, von denen sich alle Beteiligten Einsparungen erhoffen. Keiner weiß, wie viel, keiner weiß, ob das in diesem Umfang eintreten wird. Deshalb habe ich immer gesagt: Eine Gesundheitsreform kann nur in unterschiedlichen Etappen geschehen, und das Gesundheitswesen ist in ständiger Bewegung, auch unsere Ansprüche werden ständig größer. Niemand soll denken, dass man mit einer einzigen Reform die Probleme für ein halbes Jahrhundert lösen kann. Diese Probleme werden uns weiter verfolgen.

Sagenschneider: Wird der Verdruss nicht noch zunehmen, wenn das Fondsmodell, das ja geplant ist, nicht rechtzeitig umgesetzt werden kann? Experten bezweifeln ja, dass es gelingen kann.

Böhmer: Experten zweifeln immer, und ich bin auch nicht sicher, ob es gelingen wird, aber es ist auf alle Fälle ein Versuch, in die richtige Richtung die Strukturen zu verändern. Und da werden wir in einem Jahr mal schauen, was dann läuft oder nicht läuft.

Sagenschneider: Zeigt sich jetzt, Herr Böhmer, bei diesem Streit nicht auch, dass Angela Merkel genau das gleiche Problem hat wie früher Gerhard Schröder - einige Unionsministerpräsidenten, die gern Opposition spielen wollen?

Böhmer: Ich muss mal sagen, ich habe noch keinen Unionsministerpräsidenten erlebt, der gerne Opposition spielt. Es ist richtig, dass wir auch unsere Bedenken anmelden, meistens schon vorher, bevor Sachen entschieden werden. Es gibt häufig genug Abstimmungsrunden, um intern die Meinungsbildung voranzutreiben. Aber dass jemand Freude daran hätte, Opposition zu spielen, diese Meinung teile ich ausdrücklich nicht.

Sagenschneider: Das heißt, Sie akzeptieren da auch nicht die Kritik der SPD, die sagt, dass Angela Merkel hier eingeknickt sei?

Böhmer: Nein. Das ist eben bei unterschiedlichen Parteien so. Ich kann mich gut erinnern, was wir von Gerhard Schröder gelegentlich behauptet haben.

Sagenschneider: Das Problem für die große Koalition ist ja, dass die Glaubwürdigkeit jetzt schon schwer angekratzt ist, auch bei der Union, und nicht nur wegen der Gesundheitsreform. Die Steuersenkungspartei, die man noch im Wahlkampf sein wollte, die ist ja längst passé. Wird sich so etwas nicht nachhaltig auswirken?

Böhmer: Also es wirkt sich immer nachhaltig aus, wenn man zum Zeitpunkt der Opposition Wünsche vor sich her trägt, von denen man eigentlich wüsste, dass man sie nicht erfüllen kann, wenn man in die politische Verantwortung kommt. Diesen Fehler beobachte ich bei allen Parteien, wenn sie in der Opposition sind.

Sagenschneider: Und?

Böhmer: Die Folge ist, dass man im Grunde genommen auch in der Opposition nicht mehr fordern sollte, als man im konkreten Fall, dass man Verantwortung übernimmt, tatsächlich umsetzen kann.

Sagenschneider: Vielen Dank für das Gespräch.