"Blitz-Radikalisierung"

Extremistische Gruppen setzen auf einsame Wölfe

Ein Mann mit Strohhut, Sonnenbrille und Notebook auf dem Schoß
Und plötzlich ein Täter? Extremisten nutzen das Netz als eine Art "Schaufenster", sagt der Psychologe Nils Böckler. © picture alliance/dpa/Britta Pedersen
Nils Böckler im Gespräch mit Liane von Billerbeck und Joachim Wiese · 20.07.2016
Propaganda von Terroristen setze gezielt bei den Bedürfnissen von Menschen in schweren Krisen an und mache sich diese zunutze, sagt der Psychologe Nils Böckler. Das Internet sei mittlerweile zum Schaufenster für Ideologien und ideologische Fragmente aller Art geworden.
Was steckt dahinter, wenn sich ein scheinbar gut integrierter Jugendlicher binnen Tagen zum IS-Terror bekennt?
Nils Böckler, Psychologe am Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt, ist der Ansicht, dass dem fast immer eine schwere Lebenskrise vorausgeht - oder ein Ereignis, dass die Bindung der Person an die Welt löscht. Die Täter hätten sich bereits sukzessive von der Welt abgewendet.

"Sich identifizieren und quasi selbst rekrutieren"

Das Netz wird dann zum zweifelhaften Ratgeber, zum "Schaufenster für Ideologien", die gewaltorientierte Jugendliche den eigenen Bedürfnissen gemäß auswählen und zu etwas ganz Privatem machen könnten.
Nils Böckler: "Da kommen mehrere Faktoren zusammen: Zum einen, dass extremistische Gruppierungen immer mehr auf das 'Lone Wolf'-Phänomen setzen, das heißt sie planen die Taten nicht mehr selbst, sondern verbreiten eigentlich nur noch die Propaganda, beispielsweise im Internet, und wollen, dass sich Menschen dann aus persönlichen Motiven und Bedürfnissen heraus damit identifizieren und sich quasi selbst rekrutieren.

"Ideologien drängen auf Gewalt"

Und wir wissen aus der Forschung, dass Menschen insbesondere dann ansprechbar für Propaganda sind, wenn ihre Deutungsmuster aus den Fugen geraten. Das können Jugendliche in Entwicklungskrisen sein, aber eben auch erwachsene Personen, die schwere Krisen durchleben, auch Flucht und der Start in eine unbekannte Kultur kann ein Faktor sein.
Und an dem Punkt setzen Ideologien an, und sie helfen dann soziale Komplexität zu reduzieren, sie teilen die Welt in Gut und Böse, schreiben der eigenen Gruppe moralische Höherwertigkeit zu. Und leider drängen sie damit dann auch immer auf Gewalt. Irgendwann heißt es dann: Der fromme Glaube allein recht nicht mehr, man muss gegen das Leid der Brüder und Schwestern, wie es in der Propaganda dargestellt wird, mit dem Schwert kämpfen. Dann kann die Tat schnell zum Initiationsritus werden, in diesem Kreis der Märtyrer aufzugehen."