Biografin Stollberg-Rilinger ausgezeichnet

Maria Theresia führte "Herrschaft der Heuchelei"

Die Autorin Barbara Stollberg-Rilinger wird am 23.03.2017 auf der Buchmesse in Leipzig (Sachsen) mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik ausgezeichnet.
Die Autorin Barbara Stollberg-Rilinger auf der Leipziger Buchmesse © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Barbara Stollberg-Rilinger im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.03.2017
Kaiserin Maria Theresia von Österreich wurde als Monarchin und Mutter verehrt. Für ihr Buch über die Regentin ist Barbara Stollberg-Rilinger auf der Leipziger Buchmesse als beste Sachbuchautorin ausgezeichnet worden. Darin bricht sie das zum Teil verklärte Bild von der Kaiserin auf.
Für ihr Buch über Kaiserin Maria Theresia von Österreich ist die Autorin Barbara Stollberg-Rilinger auf der Leipziger Buchmesse als beste Sachbuchautorin ausgezeichnet worden. Die Regentin sei ein Schlüssel zum 18. Jahrhundert, so die Historikerin Stollberg-Rillinger nach der Preisverleihung am Freitag im Deutschlandradio Kultur.
Einerseits habe Maria Theresia ein ganz konfessionelles Herrscherverständnis gehabt, so die Autorin. "Das heißt, sie war überzeugt, dass sie als Herrscherin für das Seelenheil ihrer Untertanen vor Gott verantwortlich ist." Das habe ihr Souveränität und Standfestigkeit verliehen, sie aber auch unerbittlich gegenüber Andersgläubigen gemacht.

Ambivalentes Verhältnis gegenüber der Kirche

"Andererseits war sie aber auch jemand, der schon sehr klar anstrebte, die Überordnung der eigenen Herrschaft über der Kirche durchzusetzen und die Einmischung der Römischen Kirche in ihren Herrschaftsbereich ganz entschlossen zurückzudrängen", betonte Stollberg-Rilinger. Es sei ihr wichtig gewesen, diese Ambivalenz in ihrem Buch "Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit" aufzugreifen.
In der Biografie zeichnet die Autorin auf mehr als tausend Seiten die Mythen um Maria Theresia nach, um ihr als Figur auf die Spur zu kommen: Die treu sorgende Landesmutter, die man im Nachhinein zur ersten Bürgerin ihres Landes verklärte.

Heuchelei in der europäischen Herrscherfamilie

Auch im Verhältnis zu ihren erwachsenen Kindern an den verschiedenen europäischen Höfen sei Maria Theresia eine Frau der Widersprüche gewesen. Einerseits habe sie sich als vollkommen offen und aufrichtig dargestellt. Das sei sie aber definitiv nicht gewesen, so die Historikerin. "Sie misstraute den Kindern fundamental, traute ihnen auch das Herrschen nicht zu." Sie habe versucht, ihre Kinder zu kontrollieren, gegeneinander auszuspielen und ihnen ohne ihr Wissen Aufpasser zur Seite gestellt.
Umgekehrt habe sie aber von den Kindern eine "rückhaltlose Offenheit" verlangt. "Das führte dazu, dass in der Familie eine Herrschaft der Verstellung, der Heuchelei, der Unaufrichtigkeit Platz griff, also ganz genau das Gegenteil dessen, was sie eigentlich anstreben wollte."
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Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: "Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit", das ist ein relativ harmloser Buchtitel. Und diesen harmlosen Titel hat die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger ihrer Maria-Theresia-Biografie gegeben, aber das ist kein harmloses Buch. Es ist ein Buch, das ein völlig neues Bild dieser österreichischen Monarchin zeichnet. Und deshalb hat Barbara Stollberg-Rilinger für dieses Buch gestern auch den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse erhalten. Ich habe mir die Preisverleihung angeguckt und gemerkt, dass Barbara Stollberg-Rilinger sich sehr, sehr über diesen Preis gefreut hat, obwohl es bei Weitem nicht der erste ist, den sie je bekommen hat, und nach dieser Freude habe ich sie kurz nach der Verleihung auch gefragt.
Barbara Stollberg-Rilinger: Ja, natürlich, und es war auch vollkommen unerwartet. Ich habe ja kurz vorher die anderen vier Sachbuchnominierten erlebt und fand die Bücher auch so grandios, und das war wirklich offen, wer das kriegen würde und sicher sehr schwer für die Jury zu entscheiden. Also, ich habe da nicht mit gerechnet.
Kassel: Rührt Ihre Freude über den Preis auch ein bisschen daher, dass das – auch wenn sie das Wort vielleicht nicht mögen – so etwas wie eine Mission ist, die für Sie mit diesem Buch verknüpft ist, eine Mission, doch viele der Mythen rund um Maria Theresia geradezurücken, zu entkräften?
Stollberg-Rilinger: Ja, das ist das eine Anliegen gewesen, das wurde immer mehr zu meinem Anliegen, je mehr ich mich in diese ältere Historiografie eingearbeitet habe. Aber zunächst mal war eigentlich mein Anliegen, diese Figur zu nehmen als einen Schlüssel zum 18. Jahrhundert. Das 18. Jahrhundert ist ja sozusagen meine Spezialepoche und ich dachte mir, es ist leichter, über eine solche Schlüsselfigur alles das, was ich wichtig finde am 18. Jahrhundert oder was ich auch für das Verständnis unserer eigenen Zeit wichtig finde an diesem Zeitalter, leichter an den Mann zu bringen oder an die Frau zu bringen, weil das natürlich leichter lesbar ist, eine Biografie, als ein strukturgeschichtliches Werk. Und da dachte ich mir, die Biografie nehme ich so als Schlüssel zu dem Zeitalter.

Maria Theresias Rolle bei der Säkularisierung

Kassel: Wollen wir über Ihre Fachgebiete reden, dazu zählt ja auch grundsätzlich das Verhältnis zwischen Religion und Politik. Wenn man sich damit, gerade bezogen auf diese Epoche, beschäftigt, dann kommt man an Maria Theresia eigentlich ja auch nicht vorbei, oder?
Stollberg-Rilinger: Ja, die spielt natürlich eine Schlüsselrolle insofern, als sie einerseits noch dieses ganz konfessionelle Herrschaftsverständnis hatte, das heißt, sie überzeugt war, dass sie als Herrscherin für das Seelenheil ihrer Untertanen vor Gott verantwortlich ist, von Gott sozusagen zum Herrschen beauftragt worden ist und deswegen auch die Fähigkeit dazu verliehen bekommen hat. Also ein ganz stark religiöses Herrschaftsverständnis, das ihr auch ihre Souveränität vermittelt hat und diese Standfestigkeit und diese Unerbittlichkeit gegenüber Andersgläubigen. Andererseits war sie aber auch jemand, der schon sehr, sehr klar war, die Überordnung der eigenen Herrschaft über die der Kirche durchzusetzen und die Einmischung der römischen Kirche in ihren Herrschaftsbereich ganz entschlossen zurückzudrängen. Das ist also eine sehr ambivalente Geschichte, und sie ist in vieler Hinsicht auch – obwohl das sich paradox anhört – eine Figur in der Geschichte von Säkularisierungsprozessen.
Kassel: Das ist ja ein Beispiel von mehreren aus Ihrem Buch, wo ich wirklich gesagt habe: Ja, das habe ich mal anders gelernt und ich habe mir diese Frau anders vorgestellt. Weiteres Beispiel ist dieser Mythos von der Volksnähe. Sie schreiben unter anderem, dass sie den Zugang zum Palast deutlich restriktiver gestaltet hat als ihre Vorgänger. Dieses Bild, das wir teilweise von ihr hatten, was eigentlich historisch nicht korrekt ist, kam das auch durch sie selber, war sie eine Frau, die auch ein, wie man heute sagen würde, Image von sich kreiert hat?
Stollberg-Rilinger: Ja, selbstverständlich. Sie hat natürlich selber diesen berühmten Satz geschrieben, dass sie ihrer Länder erste Mutter ist. Das hat sie zwar nicht an die breite Öffentlichkeit adressiert, sondern an ihre Nachkommen, aber sie hat auch in ihren offiziellen Erlassen und überall immer wieder sich als die Mutter ihrer Untertanen stilisiert und sie hat das auch selbst sicher so empfunden. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass sie so, wie wir uns das heute vorstellen, eine Mutter in einer bürgerlichen Kleinmutter, die ihre Kinder liebt … Sondern die Landesmutter zu sein, hieß ja, dass die Untertanen zu ihr ein solches Verhältnis haben wie Kinder zu ihrer Mutter, das heißt, sie haben zu gehorchen und sie haben selbstverständlich nichts mitzureden bei der Gestaltung ihrer eigenen Verhältnisse. Also, das ging um Gehorsam und um Bevormundung. Und das ging eben auch bis hin zur religiösen Praxis der Untertanen, also eine ganz, ganz strikte Kontrolle und Disziplinierung der Untertanen, der Kinder und auch ihrer selbst.

"Sie sprach mit gespaltener Zunge"

Kassel: Hatten Sie eigentlich dieses Bild der Monarchin, das Sie auch in dem Buch zeichnen, hatten Sie das selbst schon quasi von Anfang an oder gab es bei der Recherche für dieses Buch auch für Sie große Überraschungen?
Stollberg-Rilinger: Also, was mich am meisten fasziniert und auch zum Teil überrascht hat, war das Verhältnis zu den erwachsenen Kindern. Also, das geht aus der Korrespondenz, die ja ungeheuer dicht ist, sehr, sehr genau hervor, wie sie ihre Kinder behandelt hat, die Erwachsenen an den verschiedenen europäischen Höfen, wie sie sie versucht hat zu kontrollieren, wie sie sie auch gegeneinander ausgespielt hat, wie sie ihnen Aufpasser zur Seite gestellt hat, die ständig nach Hause berichten mussten, ohne dass die Kinder das aber wissen durften. Also, einerseits eine unglaubliche Kontrolle … Also, sie misstraute den Kindern fundamental, traute ihnen auch das Herrschen nicht zu. Umgekehrt verlangte sie aber von den Kindern ständig eine absolut rückhaltlose Offenheit. Und da sprach sie eben ständig mit gespaltener Zunge, stellte sich selbst also auch als vollkommen offen und aufrichtig dar, was sie definitiv nicht war. Und das führte dazu, dass in dieser Familie eine Herrschaft sozusagen der Verstellung, der Heuchelei, der Unaufrichtigkeit Platz griff, also ganz genau das Gegenteil dessen, was sie eigentlich anstreben wollte.
Kassel: Sie haben bei der Verleihung des Preises in einer ganz kurzen Rede unter anderem so sinngemäß gesagt, sie seien erstaunt, erfreut, aber eben doch auch erstaunt, dass es noch ein so großes Interesse im Moment am 18. Jahrhundert gebe. Mich erstaunt wiederum, dass es Sie erstaunt. Leben wir nicht in einer Zeit, die vielleicht sogar manchmal zu stark in die Geschichte guckt und etwas tut, was Sie eigentlich in dem Buch gar nicht so sehr machen, Sie vermeiden das, nämlich in der Geschichte Erklärungen für die Gegenwart zu suchen? Leben wir nicht in einer Zeit, die sehr historisch interessiert ist?
Stollberg-Rilinger: Ja, ich weiß es nicht genau. Also, ich meine, der Geschichtsunterricht geht zurück, in der Schule zumindest weiß man über die frühe Neuzeit sehr wenig, da fängt es allenfalls mit der Französischen Revolution an. Also, da bin ich nicht so sicher. Es gibt natürlich ein gewisses öffentliches Interesse an Geschichte, aber das ist eben … Oft erschöpft sich das, habe ich zumindest den Eindruck, in sehr vordergründigen Dingen, Schlachtenszenen-Reenactments und so weiter, oder man projiziert auch nur ein modernes Bild in die Vergangenheit und lässt die Figuren gewissermaßen in historischen Kostümen vor historischen Kulissen auftreten. Also, wenn man an bestimmte Mittelalterfilme denkt und so weiter. Also, insofern wäre ich eher skeptisch. Und so eine antiidentifikatorische Geschichtsschreibung, wie ich sie für richtig halte und die Mehrzahl meiner Kollegen sicher auch, die ist natürlich ein bisschen schwerer vielleicht vermittelbar, aber wenn man sich darauf einlässt und ein Interesse oder eine Neugier wirklich für die Fremdheit dieser Epochen entwickelt, dann wird es meines Erachtens überhaupt erst richtig spannend, weil man dann seine Urteilskraft erweitert, seinen Horizont erweitert, Dinge kennenlernt, die man eben nicht für selbstverständlich hält, die einen irritieren können in den eigenen Selbstverständlichkeiten. Und das halte ich eigentlich für den Sinn der Beschäftigung mit Geschichte, und nicht sozusagen seine vorgefassten Vorstellungen in der Geschichte nur bestätigt zu sehen. Also, das ist eigentlich mein zentrales Anliegen, das Fremde denken zu können.
Kassel: ... sagt Barbara Stollberg-Rilinger, die für ihr Buch "Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit" den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat.

Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit
C.H. Beck, 1083 Seiten, 34 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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