Biografie

Der Verleger als Strippenzieher

Eine Gipsbüste von Johann Friedrich Cotta, gefertigt 1843 von Ludwig Schaller.
Eine Gipsbüste von Johann Friedrich Cotta, gefertigt 1843 von Ludwig Schaller. © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Hans-Jörg Modlmayr · 24.04.2014
Die erste Gesamtbiografie Johann Friedrich Cottas zeigt den Verleger, Diplomaten und Großagrarier in zahlreichen Facetten seiner komplexen Persönlichkeit. Bernhard Fischer gelingt es, durch ihn die Zeit der Weimarer Klassik wieder lebendig werden zu lassen.
Von dem bedeutendsten deutschen Verleger der Goethe-Zeit, Johann Friedrich Cotta (1764–1832), gab es bis jetzt keine Gesamtbiografie. Bernhard Fischer, seit 2007 Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in der Klassik Stiftung Weimar, hat sich der Herausforderung gestellt, das Leben des genialen Verlegers, Entrepreneurs und Politikers aus dem schier unüberschaubaren, bisher zum Teil nicht erschlossenen zeitgenössischen Quellenmaterial in Detektivarbeit zu durchforsten, um der rätselhaften Figur Cotta, so weit als möglich, auf die Spur zu kommen. Es war ein Glücksfall, dass Bernhard Fischer vor seiner jetzigen Arbeit in Weimar 15 Jahre lang das Cotta-Archiv am Deutschen Literaturarchiv Marbach leitete und somit die erforderliche Zeit und Muße hatte – frei von den sonst üblichen administrativen Pflichten – für seine Arbeit an der Biografie Cottas.
Die 4.400 erhaltenen Briefe Cottas hat er gelesen und mit 30.000 Briefen an ihn und seinen Verlag abgeglichen, die Geschäfts-Bücher und -Unterlagen studiert, Lebenszeugnisse und Briefe Dritter, die sich über Cotta geäußert haben, Behördenarchive durchstöbert. Das Schwierige an Bernhard Fischers Forschungsarbeit war, dass sich in Cottas unvorstellbar dynamischem Leben vielfarbige, unterschiedlich starke Fäden zu einem großen Teppich verwoben – und zwar durch seinen Aufbau des größten Verlagsimperiums seiner Zeit; seinen unablässigen politischen Kampf für die Pressefreiheit und die Reform der Autoren- und Verlegerrechte; durch seine vielfältigen Aktivitäten als Politiker und Diplomat; sein bisher kaum bekanntes Engagement als Industriepionier und Großagrarier in Württemberg und Bayern; seinen Dialog mit den führenden Autoren seiner Zeit; sein Wirken als geschätzter Berater von Königen und Fürsten.
Er verlegt Schiller, Goethe, Jean Paul, Herder
Auf seinen 984 Seiten versteht es Fischer, durch das authentische Zeitzeugenmaterial seine Leser von heute zurückzuversetzen in Cottas Welt, die gewaltige Umbrüche erlebte, Umbrüche, deren Ausgang für die Betroffenen lange Zeit unklar blieb, die sie in Existenzängste versetzten und unter Dauerspannung hielten.
In das krähwinklige Herzogtum Württemberg hineingeboren arbeitet sich der hochintelligente, mathematisch begabte Cotta zielstrebig vom Kleinverleger auf die große Bühne der europäischen Kultur und Politik vor. Sein meist untrüglicher Instinkt verhilft ihm dazu, fast alle Größen seiner Zeit in sein Verlagsprogramm einzubinden. Er ist beispiellos großzügig mit seinen Honoraren. Mit Schiller, Goethe, Jean Paul, Herder, Fichte, Börne, Heine verkehrt er auf Augenhöhe, nicht selten ist er der bessere Psychologe und zieht die Fäden. Aber er hält sich im Hintergrund, ist somit in den gefährlichen Zeiten der Revolution und Restauration für die Zensur nicht zu fassen.
Ungeschminkte Darstellung
Das Spannende an Fischers Biografie ist, dass er die so verschiedenen Facetten von Cottas Persönlichkeit, und auch die Brüche in seinem Privatleben, sauber herausstellt. Fischer ist kein Heldenverehrer und somit auch in der Lage, Zeitgeschichte anhand von Cottas Leben kritisch und distanziert im Prozess zu veranschaulichen und somit beim Leser ein ungewöhnliches Aktualitätsgefühl zu wecken. Wie läuft zum Beispiel in Zeiten der Repression und NSA-artiger Überwachung die Manipulation der öffentlichen Meinung? Weder Cotta noch seine Zeitgenossen, die er hautnah erlebte, noch die politischen Hauptakteure werden in Schwarz oder Weiß gezeigt. Fischer gelingt anhand seines Versuchs, Cottas komplexes Leben ungeschminkt darzustellen, die Verlebendigung der uns immer noch prägenden Epoche der Weimarer Klassik.

Bernhard Fischer: Johann Friedrich Cotta. Verleger - Entrepreneur - Politiker
Wallstein Verlag, Göttingen 2013
984 Seiten, 16 farbige Abbildungen, 49,90 Euro

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