Biografie

Der entzauberte Max

Von Stephan Schlak · 17.02.2014
Er ist zeitweise glühender Nationalist und sieht sich als Gesellschaftstourist dennoch gern den American Way of Life an: Max Weber. Er ist ein einflussreicher Denker der Moderne, seine Bedeutung als Soziologe und Volkswirt, Historiker und Jurist unumstritten. Der Autor Jürgen Kaube versucht, dieses stets am Rande der Erschöpfung geführte Leben zu ergründen.
Die Biographie ist für jeden Soziologen mit streng theoretischem Blick eine unwürdige Gattung. Wer nach Strukturen, Typen und Gesetzen fragt, sieht ab vom einzelnen heroischen Menschen mit seinen körperlichen Gebrechen. Umso erstaunlicher, dass Max Weber, einer der Gründungsväter der deutschen Soziologie, von seinem Tod an zum Gegenstand biographischer Großdeutungen wurde.
Webers überspanntes Leben zwischen den Epochen (1864-1920) - samt Nervenleiden, aufgestauter Sexualität, nächtlichen Pollutionen und späten Liebschaften - verführte zu immer neuer Blütenlese. Durch die kulturhistorische Hintertür wurde Weber zum großen intellektuellen Schmerzensmann der Deutschen um 1900, zur Zentralfigur im neurotischen Zeitalter. Aus dem Blick geriet dabei der Soziologe und Gelehrte.
Wohltuend nüchterner Zugriff
Jürgen Kaube, Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen", stellt diesen nun ins Zentrum seines Buches. Kaube zeigt Weber als einen Exponenten der "heroischen Moderne" (Heinz Dieter Kittsteiner), der den enormen Wandel seiner Lebenszeit, den Sprung Deutschlands von der agrarischen Welt in die kapitalistische Moderne, mit Begriffen zu bannen versuchte. Nach all den Büchern, die mit dem nationalliberalen Weber politisch mitgestritten und mit dem Nervenbündel mitgelitten haben, ist dieser kalte sachliche Zugriff auf Webers Problemlagen und Fragestellungen wohltuend nüchtern.
Ob es um Webers Thesen zur Entstehung des Kapitalismus, seine politische Herrschaftssoziologie oder um seine "Gefährtenehe" mit Marianne und spätere sexuelle Eskapaden geht - Kaube wahrt stets einen Außenblick, nicht zuletzt unter Aufnahme der Organisations- und Liebessoziologie Niklas Luhmanns, eines anderen soziologischen Giganten aus Bielefeld-Oerlinghausen, aus dem auch Max und Marianne Webers Vorfahren stammen.
Predigt Askese und neigt zur Völlerei
Kaube hat ein feines Gespür für die vielen Paradoxien, die sich in Webers Werk und Leben eingeschlichen haben. Ausgerechnet Weber, der zur "Völlerei" neigte, predigt die geschichtsprägende Kraft der "Askese". In den römischen Archiven ist Max Weber um 1900 der protestantischen Lebensführung auf der Spur, obwohl sein eigenes Leben - hin- und hergerissen zwischen Reue, Buße und der Sehnsucht nach Erlösung - viel eher einer katholischen Lebensführung gleicht.
Wenig kann Kaube dagegen anfangen mit Webers Versuchen, die kapitalistische Moderne auf heroische Ursprungsgeschichten zurückzuführen. Auch der politische Weber bleibt Kaube fremd: "Der Nationalismus war die Art von Literatentums, die sich Weber zeit seines Lebens genehmigte." Bei Webers rhetorischen Kriegseinsätzen um 1914 sieht Kaube die Folgekosten: das soziologische Opfer des Intellekts.
Zu seinem 150. Geburtstag hat Max Weber von Jürgen Kaube eine Biographie bekommen, die nicht die Knie vor dem Klassiker beugt. Kaube verzichtet auf alle heroischen Zuschreibungen, an denen sich Max Webers Nachwelt noch einmal berauscht hatte. Vielmehr wird Weber hier beobachtet entlang seiner eigenen akademischen Gebote: "sachlich" und "nüchtern". Eine elegante Entzauberung.

Jürgen Kaube: Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen
Rowohlt, Berlin 2014
496 Seiten, 26,95 Euro

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