Biografie

Am Ende gewinnt die Legende als Mensch

Der polnische Autor und Reporter Ryszard Kapuściński
Der polnische Autor Ryszard Kapuściński © picture alliance / Effigie/Leemage
Von Arkadiusz Luba · 20.04.2014
Über den polnischen Autor und Reporter Ryszard Kapuściński wurden schon viele Bücher geschrieben - doch kaum eines sieht ihn dermaßen kritisch und ist deswegen selbst so kritisiert worden. Das schadet Kapuściński aber nicht.
Artur Domosławski, Jahrgang 1967, Reporter der linksliberalen Wochenzeitschrift "Polityka" in Warschau, war Schüler und Freund Ryszard Kapuścińskis, dem meist gelesenen Autor Polens.
"Eine Freundin, die einst in Kapuściński verliebt war, sagt: 'Ich hoffe, Sie schreiben keine Hagiographie. Rysiek war ein toller, ein interessanter Kerl: Reporter, Reisender, Schriftsteller, Mann. Vater. Geliebter. Ein komplizierter Mensch, der in chaotischen Zeiten lebte, in mehreren Epochen, in verschiedenen Welten'."
Artur Domosławski hat sich dies zu Herzen genommen und es sich nicht leicht gemacht, als er über Leben und Wahrheit eines Mannes schrieb, der eine literarisch-journalistische Ikone in Polen ist. Und wohl deswegen oder trotzdem sorgte sein Buch, als es vor vier Jahren herauskam, für Aufregung und Proteste. Artur Domoslawski:
"Ich habe mit einer Polemik gerechnet, aber das Ausmaß der irrationalen Attacken überraschte mich. Denn ich wollte einen Kapuściński erzählen, der bis dato noch nicht erzählt worden war. Er war mir nahe, ich wusste aber wenig über ihn. Bei der Recherche sind Dinge ans Licht gekommen, die weder mir noch der Öffentlichkeit bekannt waren. Ich wollte Kapuściński erklären, besser verstehen."
Artur Domosławski enthüllt das komplizierte Verhältnis Kapuścińskis zu seiner Tochter und auch über sein Liebesleben wird geschrieben, das sich nicht nur auf seine Frau Alicja beschränkte. So erfährt die Öffentlichkeit viel Intimes und genau deswegen wollte die Witwe Kapuścińskis das Erscheinen der Biografie mit allen Mitteln verhindern.
Die politische Haltung seines Mentors
Domosławski schildert aber vor allem die politische Haltung seines verstorbenen Mentors. In seiner Jugend sei er ein überzeugter Kommunist gewesen. Seine frühen Gedichte lobten den Sozialismus. Vom polnischen Geheimdienst habe er sich später als Informant anwerben lassen. In den Jahren der Wende stilisierte er sich dagegen zu einem Oppositionellen und versuchte seine Biografie umzuschreiben.
"Es war typisch für ihn – einfach die Realitäten zu akzeptieren. Ich glaube, er ist ein viel pragmatischer Mensch gewesen, als wir alle uns vorstellen können. In allem, was er tat, war er nie irrational."
Artur Domoslawski: "Ryszard Kapuściński"
Artur Domoslawski: "Ryszard Kapuściński"© Rotbuch Verlag Berlin
So erinnert sich der Diplomat Jerzy Nowak an seinen langjährigen Freund, an einen Mann voller Widersprüche.
Einen Namen hat sich Ryszard Kapuściński als Reporter gemacht. 40 Jahre lang durchquerte er alle Kontinente um "Revolutionen, das Drama der Macht und das Leben der Armen" zu beschreiben. Er war Zeuge von Protestbewegungen und Staatsstreichen in Lateinamerika sowie des Zerfalls der Kolonialimperien in Afrika.
In Polen wusste man damals wenig über den Süden der Welt und Kapuściński war der einzige, der sich interessierte und die soziale Ungleichheit auf dem Globus anprangerte. Er schilderte, was er auf seinen Reisen sah, mit großer Freiheit und verwendete eine bildhafte Sprache.
Fakten von Mythen trennen
Seine Meister seien Balzac, Thomas Mann und Dostojewski. Oft erwähnte er auch Norman Mailer, Truman Capote und Tom Wolfe, die den "neuen Journalismus" erfanden, nicht nur Fakten beschrieben, sondern sich auch bei der schönen Literatur bedienten. Die literarische Reportage war und ist in Polen sehr beliebt. Ryszard Kapuscinski:
"Wenn jemand hervorragende, frische und innovative Vorstellungskraft hat, schreibt er Romane. Ich habe sie nicht und so kompensiere ich sie mit Fakten. Alles, was ich schreibe, lasse ich davor durch meinen Gesichtskreis fließen."
Ryszard Kapuściński bei einem Treffen mit Journalisten Mitte der 90er-Jahren:
"Ich kann nicht sagen, warum ich etwas so und nicht anders geschrieben habe. Ich habe es so gefühlt. Ich kann das nur damit verteidigen, dass ich all das, was ich geschrieben habe, gesehen und erlebt habe."
Sein Biograf bemüht sich um ein umfassendes Portrait, versucht Fakten von Mythen zu trennen, ordnet sein journalistisches Leben in den kulturellen, politischen und historischen Kontext ein. Denn er war nicht nur Reporter, sondern auch verwickelt in die Geschichte seiner Zeit. Genau das hält die Übersetzerin Antje Ritter-Jasińska für wichtig:
"Dieses Buch ist – abgesehen von einer Biografie – auch noch ein Abriss der neuen Geschichte Mitteleuropas der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dem Autor ist es einfach gelungen, dermaßen gut die Realität darzustellen, in der Kapuściński mit sich gehadert hat, einfach, weil er in schwierigen Zeiten gelebt hat. Das ist für mich als Leser aus Deutschland einfach wahnsinnig spannend. Und warum sollen die deutschen Leser das nicht haben? Artur Domosławski versucht wirklich jeden Stein umzudrehen und alles zu interpretieren, und so ehrlich wie möglich zu sein mit Kapuściński, mit dieser doch großen Figur. Das zeichnet einfach dieses Buch aus."
Bei den polnischen Lesern gut angekommen
Anders als bei der Familie und unter Intellektuellen kam die Biografie von Artur Domosławski bei den polnischen Lesern gut an:
"Dank der Biografie will ich jetzt endlich Bücher von Kapuściński lesen. Früher war ich durch seine Anbetung verunsichert. Dank Domosławski ist er wieder ein normaler Mensch."
"Das Buch beschreibt keine Ikone, keinen Mythos. Es zeigt einen Mann aus Fleisch und Blut."
"Ich bin mit Kapuścińskis Büchern groß geworden. Mich haben ähnliche Dinge fasziniert wie ihn. Deswegen war diese Biographie so wichtig für mich."
Über Ryszard Kapuściński wurden schon viele Bücher geschrieben, kaum eines sieht ihn dermaßen kritisch - und ist deswegen selbst so kritisiert worden. Artur Domosławski enthüllt die Schwächen, die Zerrissenheit und die Komplexität des Jahrhundertreporters, ohne seine Größe zu beschädigen. Am Ende gewinnt er als Mensch.

Artur Domoslawski: "Ryszard Kapuscinski. Leben und Wahrheit eines "Jahrhundertreporters"
Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Jasińska und Benjamin Voelkel
Rotbuch Verlag Berlin, März 2014
704 Seiten, 29,95 Euro