Biograf Lorenz Jäger

Walter Benjamin und die Erlösung

"Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten" von Lorenz Jäger. Im Hintergrund der Potsdamer Platz im Berlin der 1920er-Jahre.
"Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten" von Lorenz Jäger. Im Hintergrund der Potsdamer Platz im Berlin der 1920er-Jahre. © Rowohlt Verlag / dpa / Ullstein
Lorenz Jäger im Gespräch mit Simone Rosa Miller · 19.02.2017
Engel, Aura, Kapitalismus und Erlösung: Walter Benjamin hat gegen die Entzauberung der Welt angedacht und verzweifelte an den politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Wir sprechen mit dem Journalisten Lorenz Jäger, der eine Biografie des Philosophen verfasst hat.
Wie kaum ein anderer hat Walter Benjamin es vermocht, seine Zeit in Gedanken zu fassen. Gleichzeitig spiegelt sich die Geschichte des 20. Jahrhundert auf tragische Weise in seinem Leben.
"Es gibt überhaupt nur verzauberte Welt für Benjamin", sagt der Biograf Lorenz Jäger im Deutschlandradio Kultur :
"Man wird sich wundern, warum Benjamin immer eine Affinität zum Geisterhaften, fast Gespensterhaften gehabt hat, aber er brauchte das, weil er erst dagegen die ganze Energie der Offenbarungstheologie geltend machen konnte."
Ausgehend von den jüdischen Schriften habe er, gegen die kantische Erkenntnistheorie, eine Philosophie in Anschlag zu bringen versucht, die das Übersinnliche und Religiöse systematisch mit einschließen sollte.

In der Schweiz dem Kriegsdienst entgangen

Um dem Einzug ins Militär und damit den Fronten des Ersten Weltkriegs zu entgehen, geht Benjamin 1917 in Schweiz und lernt dort die künstlerische Avantgarde des DADA kennen. Die Auseinandersetzung habe Benjamins Denken nachhaltig geprägt, so Jäger. Inspiriert durch deren künstlerische Radikalkritik grenze er sich in scharf von der Spätromantik ab und suche in den folgenden Jahren nach ästhetischen Begriffen, die "für den Zwecke des Faschismus völlig unbrauchbar" sein sollen.
Zurück in Berlin, sieht er sich als deutscher Jude im September 1933 zur Flucht gezwungen. Kurz vor seinem Selbstmord im französischen Portbou im September 1940 schreibt er seinen letzten großen Text "Über den Begriff der Geschichte". Obwohl dieser zu einem der bekanntesten und einflussreichsten Schriften Benjamins zählt, liest Lorenz Jäger ihn mit großer Skepsis:
"Ich bin kein großer Bewunderer der Thesen in 'Über den Begriff der Geschichte'. Ich glaube, dass das ein Text der äußersten Verzweiflung ist. Denn was er versucht, ist aus zwei gedanklichen Dimensionen, der Dimension der Geschichte und der Dimension der Erlösung, einen einzigen Prozess zu machen. Und das geht nicht. Die Geschichte ist immer das Furchtbarste, was es gibt. Sie ist nicht Schauplatz der Erlösung und wer das behauptet, der kommt in die übelsten Fundamentalismen rein. Das war für Benjamin, in dieser aussichtslosen Lage, noch einmal der Versuch, den vollen Einsatz der Radikalität zu wagen – das Proletariat ist die rächende Klasse – das ist ja Wahnsinn!"

Rationalismus als Geburtsfehler des Sozialismus

Auch Benjamins Sympathie für den Historischen Materialismus sieht Jäger äußerst kritisch: "Der Rationalismus – die Vorstellung eines fortlaufenden Prozess' der Aufklärung – ist ein Geburtsfehler des Sozialismus selbst." Es sei erstaunlich, dass Benjamin das nicht gesehen habe.
Auch die Hoffnung auf "die kleine Pforte, durch die der Messias treten" könnte, die Hoffnung auf Erlösung, die sich, laut Benjamin, durch die Überwindung des Fortschrittsglaubens ergeben könnte, hält Jäger für einen gefährlichen Gedanken:
"Benjamin will auf dem Boden der Weltgeschichte Erlösung stattfinden lassen und das ist, glaube ich, eine ganz furchtbare Vorentscheidung."
Das integrale Denken von Walter Benjamin, das in den unterschiedlichsten Dingen und Details Inspiration gefunden hat, sei aber noch heute erstrebenswert.

Lorenz Jäger: Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten
Rowohlt Verlag, Berlin 2017
400 Seiten, 26,95 Euro

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