Bildende Kunst

Das Schaurige hinter dem Schönen

Maria Loboda: Her Artillery
Maria Loboda: Her Artillery © Fred Dott
Von Volkhard App · 22.03.2014
In ihren Skulpturen macht sich die polnische Künstlerin Maria Loboda auf die Suche nach dem Rätselhaften und Abgründigen unter der schönen Oberfläche. Einige ihrer Werke sind im Kunstverein Braunschweig zu sehen.
Ein mit Platin beschichteter Flakon hängt mitten im Raum. In einem anderen Saal breiten sich Wüstenrosen-Kristalle an der Decke aus. Von einer Wand aus scheinen uns zwei Augen zu beobachten und an einer weiteren hockt eine Löwin aus Stein, unter einer ihrer Tatzen liegen zwei schwarze Handschuhe, offenbar Überbleibsel der Beute.
Beunruhigend wirken die Objekte, die Maria Loboda zusammenstellt. Obwohl die Räume der klassizistischen Villa, in der der Braunschweiger Kunstverein zu Hause ist, sparsam bespielt sind, werden sie von diesen magischen Dingen spürbar aufgeladen. Poesie und Geheimnis: hinter fast jedem dieser Werke verbirgt sich eine Geschichte. So ist der Flakon mit Wasserstoff gefüllt, der, da Platin ein Katalysator wäre, auf keinen Fall mit Sauerstoff in Berührung kommen darf. Es droht eine Verpuffung. Ein dickes Hanfseil, das zwei Türflügel zusammenhält, ist wiederum von dem Verschluss der Grabkammer Tutanchamuns angeregt.
Weil der Besucher ohne Lektüre wenig Chancen hat, die Hintergründe dieser verstörenden Objekte aufzuspüren, gelten die Arbeiten von Loboda als hermetisch:
"Ich empfinde meine Arbeiten als nicht besonders hermetisch und bevorzuge persönlich Werke, die mir Raum lassen, mir selber Gedanken zu machen - die von mir fordern, dass ich mich damit beschäftige und Fragen stelle. Manchmal ist es auch so, dass ich Arbeiten erst Jahre später wirklich begreife. Und das ist vollkommen in Ordnung. In meinem Fall ist es genauso: Man kann bestimmte Werke verstehen und bei manchen muss man ein bisschen mehr nachfragen."
Zwischen Literatur, Geschichte und Naturwissenschaften
Da stehen zwei identische Kabinettschränke - einer ist geöffnet, der andere geschlossen: Sie sollen auf die "Roaring Twenties" verweisen, die kulturell turbulente Zeit zwischen den Weltkriegen. So viele Werke, so viele Quellen: Wer auf der jüngsten Documenta Lobodas eingetopfte Zypressen hinterfragte, die in einer Phalanx auf die Orangerie zurückten, erfuhr von einem geistigen Hintergrund, der von altrömischer Militärstrategie bis zu Shakespeares "Macbeth" reichte.
Literatur, Geschichte, Naturwissenschaften: von überall her nimmt diese Künstlerin ihre Ideen. Und man könnte fast schon meinen, dass ihre Quellen letztlich beliebig sind:
"Beliebig ist nicht das richtige Wort. Es ist das, was mich inspiriert. Ich suche nach guten Geschichten: In den Jahrhunderten, die vergangen sind, suche ich nach kulturgeschichtlichen Überbleibseln - nach etwas, was ich in diesem Moment als interessant, faszinierend oder unverständlich empfinde. Und ich stelle Fragen, die ich selber zu beantworten versuche. Es ist vielleicht ein bisschen eklektisch, aber es ist eine Art von Archäologie, die ich mit dem betreibe, was schon vor mir passiert ist. Ich reise sehr viel und sehe deshalb sehr viele Kulturen in relativ kurzer Zeit und versuche meine Erfahrungen damit zu verbinden."
Besonders beeindruckend ist in Braunschweig der effektvoll ausgeleuchtete Saal mit drei Fotodrucken, auf denen mit schwarzen Lederhandschuhen Gesten angedeutet sind. Eine steht für "Victory", mit einer anderen wird "Einspruch" geltend gemacht. Signale zweifellos, doch in welchem Zusammenhang sind sie hier von Bedeutung?
Da hängt auch dichtes Grün an einer Decke: Die Zweige stammen von Buchen, Fichten und weiteren Gewächsen, die im Grunde keine andere Art neben sich dulden, hier aber durch menschlichen Eingriff vereint sind. Wie passen all diese Werke in Braunschweig zusammen? Das Gemeinsame sind eben die hinter der Oberfläche liegenden Botschaften, ist die Magie, ist das Rätselhafte und immer wieder Abgründige:
"Es gibt ja diesen wundervollen Satz von Freud, dass das Ego nicht Meister in seinem eigenen Haus sei. Ich mag, dass die Leute das Gefühl haben, dass die Arbeiten, die sie anschauen, ein Leben für sich haben. Ich mag es, wenn nicht alles erklärbar ist und die Dinge eine Geschichte, ein eigenes Königreich haben und nicht immer das sind, was sie scheinen."
Botschaften im Verborgenen
Die 1979 in Krakau geborene, vor Ideen sprudelnde Maria Loboda ist international gefragt: ob in Madrid, Dublin oder New York. Hoffentlich bleibt der vielbeschäftigten Künstlerin genügend Zeit, ihr äußerlich vielgestaltiges Werk weiter reifen zu lassen. Im Braunschweiger Kunstverein ist es jedenfalls gelungen, die Räume der Villa mit diesen poetischen Objekten atmosphärisch zu verändern. Direktorin Hilke Wagner über das nun kreierte "Haus der Mysterien":
"Eine Mysterienkammer ist unser Haus ja ohnehin, wenn man so möchte. Es gibt hier viele Anleihen bei der griechischen und römischen Architektur, und das Haus ist voller Schutzgötter und Symbole. Deshalb ist es so reizvoll, gerade mit Maria Loboda zusammen zu arbeiten, denn sie interessiert sich ja für verborgene Symbole. Und nun hat man das Gefühl, dass das Haus ein wenig aus den Fugen gerät: Die hier ohnehin vorhandenen Symbole werden mit ganz anderen verbunden, die aber gebrochen sind - bei denen man das Gefühl hat, dass der Schutzbann nicht mehr vorhanden ist."
An einer Wand ist übrigens ein ausgestreckter Falkner-Handschuh angebracht. Der mächtige Vogel werde hier wohl nicht landen, versichert man im Kunstverein. Aber da darf man sich in dem geheimnisvollen Kosmos von Maria Loboda gar nicht so sicher sein.