"Besser als Krieg"

5 Tage Amman - Reiseerlebnisse von Andre Zantow · 12.07.2013
Was wäre, wenn acht Millionen Menschen Deutschland verlassen und in die Nachbarländer strömen? Genau das erleben gerade die Syrer. Fast zehn Prozent der Bevölkerung sind inzwischen wegen des Krieges aus ihrer Heimat geflüchtet. Sie lassen Häuser, Arbeit und Freunde hinter sich und fahren vor allem in den westlich gelegenen Libanon und das südliche Jordanien. Etwa 70 Prozent landen in den großen Städten. Wovon leben sie dort? Was hat sie zur Flucht gezwungen? Um das zu erfahren, bin ich nach Amman geflogen.

Straßenszene in Ost-Amman, Jordanien (Bild: Deutschlandradio - Andre Zantow)

Flüchtlinge in syrischen Städten
500.000 Syrer hat Jordanien in den vergangenen zwei Jahren aufgenommen. Die Flüchtlinge machen nun etwa zehn Prozent der gesamten Bevölkerung aus. Sie sprechen Arabisch, wie die Einheimischen, trotzdem fällt die Integration schwer.

Die meisten leben im ärmeren Osten der Hauptstadt Amman. Dort habe ich auch Samya getroffen. Die 39-jährige Frau wohnt mit ihren drei Kindern in einer kleinen Zweizimmer-Wohnung. Möbel gibt es keine, ein paar Matten zum Schlafen und Sitzen, ein winziges Bad und eine notdürftige Kochnische.


Beitrag über Samya als MP3-Audio Zum Nachhören: Porträt der Syrerin Samya


Samya sei vor gut einem Jahr aus ihrem Heimatdorf südlich von Damaskus geflohen, nachdem ein Soldat der Regierung ihren Bruder erschossen habe, sagt sie. Nur weil ihr anderer Bruder in der oppositionellen Freien Syrischen Armee kämpfe. Außerdem hörte sie Gerüchte über Vergewaltigungen und Kidnapping. Dann sei sie aus Angst um ihre Töchter geflohen.

Für die ersten Mieten in Amman habe sie ihr Hochzeitsgold verkauft. Ihr Mann sei vor elf Jahren gestorben. Nun näht Samya in Heimarbeit für eine Textilfabrik Perlen an Jacken. Das ist zwar illegal, Flüchtlinge dürfen in Jordanien nicht arbeiten, aber so erhält sie umgerechnet etwa 40 Euro pro Monat. Das reicht jedoch nicht mal für die halbe Miete.

Eine Kochnische in der Wohnung von Samya, die aus Syrien nach Amman geflohen ist.
Eine Kochnische in der Wohnung von Samya.© Deutschlandradio - Andre Zantow

Die drei Kinder der 39-jährigen Samya, die aus Syrien nach Amman geflohen ist. (Bild: Sabine Wilke /CARE)

Zwischenzeitlich hatte auch die 15-jährige Tochter Shefaa einen 10-Stundenjob in einem Laden. Aber da musste sie immer um 22 Uhr allein durch die halbe Stadt gehen. Das wollte die Mutter nicht mehr. Nun sitzt Shefaa seit Monaten zu Hause, guckt Fernsehen und langweilt sich, genauso wie ihr zwölfjähriger Bruder und die elfjährige Schwester. In den überlasteten jordanischen Schulen war bisher kein Platz für die Flüchtlingskinder.

Durch einmalige Notfallgelder von Hilfsorganisationen kann die alleinerziehende Mutter die Miete noch ein oder zwei Monate länger zahlen. Aber ihr Vermieter hätte ihr schon angedeutet, dass sie bald raus müsse. Die Wohnungspreise steigen durch die vielen Flüchtlinge. Und dann? "Saatari!", wirft Samyas 15-jährige Tochter ein. "Wir müssen nach Saatari."

Leben im Lager - Von Zelt bis Tennisplatz

Im Norden Jordaniens - nahe der syrischen Grenze - haben die Vereinten Nationen nach dem Kriegsbeginn das erste Flüchtlingslager aufgebaut. In der Zeltstadt Saatari leben inzwischen etwa 120.000 Menschen. Sie erhalten dort Lebensmittel, medizinische Versorgung und einen Schlafplatz. Es gibt hier Bildungsangebote für Kinder, aber auch Diebstahl und Gewalt. Das Camp in der Wüste sei zu schnell, ohne richtige Organisation gewachsen, sagen Mitarbeiter von Hilfsdiensten heute.

Viel besser ist die Situation im sogenannten "Fünf-Sterne-Flüchtlingslager". So heißt jenes Camp bei den Einheimischen, das die Vereinigten Arabischen Emirate betreiben - ohne Beteiligung der Vereinten Nationen. Hier übernachten die syrischen Flüchtlinge in richtigen Häusern mit Stromanschluss und Fernseher, es gibt Schulen, Erholungsbereiche und sogar Tennisplätze. Allerdings finanzieren die Arabischen Emirate diese Bedingungen nur für 5.000 ausgesuchte Flüchtlinge.

Im September soll ein drittes Lager öffnen, das für über 100.000 Syrer ausgelegt ist. Es heißt Azraq und liegt anderthalb Autostunden östlich von Amman.

Zum Nachhören: Besuch im Lager Zum Nachhören: Besuch im Lager


Mitten in der jordanischen Steinwüste soll ein neues Lager für die syrischen Flüchtlinge entstehen. (Bild: Deutschlandradio - Andre Zantow)

Die jordanische Regierung hat einen Platz mitten in der Steinwüste ausgesucht, abseits von bestehenden Orten. Mit Bussen sollen die Syrer von der Grenze her gefahren werden. Hier steht kein Baum, kein Strauch, nur Steinhügel, über die der kräftige Wind weht. "Für mich sieht es aus wie ein Gefängnis, weil bisher nur die Zäune stehen, die später den Aufnahmebereich markieren." So erklärt es ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Care. Insgesamt sind noch zehn weitere Nichtregierungsorganisationen neben den Vereinten Nationen am Bau und Betrieb der Flüchtlingsstadt beteiligt. Das deutsche Technische Hilfswerk kümmert sich zum Beispiel um die Wasser-Infrastruktur, die Toiletten und die Hygiene.

Dabei stehen jedem Flüchtling 15 Liter Wasser pro Tag für jegliche Tätigkeiten zur Verfügung. Es soll keine öffentlichen Toiletten geben, sondern sogenannte "feste Familientoiletten" für etwa 20 Personen. Dadurch soll es "weniger reinigungsintensiv als in Saatari" werden.


So sollen die Unterkünfte im neu entstehenden Lager aussehen. (Bild: Deutschlandradio - Andre Zantow)

Worin die Menschen schlafen werden, ist noch nicht entschieden. Es wird wahrscheinlich eine einfache Hütte aus Aluminium ohne Strom und Möbel.

Zumindest sicher soll das Lager Azraq sein. Das wichtigste Bedürfnis der Kriegs-Flüchtlinge aus Syrien. Ob im Lager oder in den Städten – sie sind auf die Unterstützung durch Hilfsorganisationen angewiesen. Mitarbeiterin Asmaa besucht einige Syrer auch persönlich, wie bei der 22-köpfigen Großfamilie mit der kranken Fatima.

Zum Nachhören: Besuch der Hilfsorganisation

"Links zu Hilfsorganisationen, die syrische Flüchtlinge in Jordanien unterstützen:"

UNHCR- Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen - Koordination aller Hilfen

CARE - liefert u. a. Notfallgeld für die Miete und medizinische Unterstützung

Technisches Hilfswerk - installiert Wasserleitungen und Toiletten im Flüchtlingslager

Save the Children - Nahrungsmittelversorgung und Kinderbetreuung
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