Berühmte Skulptur

Wie die Pietà-Kopie nach Berlin kam

Michelangelos Pietà im Petersdom. Eine Kopie der berühmten Skulptur befindet sich in der Berliner St. Hedwig-Kathedrale.
Michelangelos Pietà im Petersdom © picture alliance / Marchi
Von Adolf Stock · 15.03.2014
Michelangelos Pietà ist ein Kunstwerk, das Trauer, Trost und Hoffnung zugleich ausdrückt. Seit 1978 gibt es ein Abformung des Originals in der damals noch Ost-Berliner St. Hedwigs-Kathedrale. Zu verdanken hat die Stadt das einem verwirrten Attentäter, einer Weltausstellung - und der Chemie-Industrie.
"Ich war Kaplan an St. Hedwig, und da war sie noch nicht da. Und dann ging ich von St. Hedwig weg, in eine andere Aufgabe und kam nach einigen Jahren wieder. Inzwischen war die neue Orgel in die Kathedrale eingebaut worden, so ca. 1975, und bei der Gelegenheit geschah auch ein Umbau der Unterkirche, und da ist wohl die Pietà da gelandet."
Monsignore Karl-Heinz Hoefs erinnert sich. 1982 wurde er Pfarrer in der St. Hedwigs-Kathedrale, da gehörte die Michelangelo-Kopie der Pietà in einer Kapelle der Krypta schon zum festen Inventar. Wenn heute Besucher St. Hedwig hinter der Staatsoper Unter den Linden besichtigen wollen, werden sie von der Kathedralführerin Roswitha Sauer betreut.
"Was mir auffällt, ist, dass diese Pietà-Kopie sehr oft gesucht wird. Unter den Menschen, die in die Kirche kommen, sind sehr viele, die danach fragen. Oder wenn sie es hören, in einer Führung oder auf anderen Wegen, die dann sehr erfreut sind. Das ist für die Menschen ein besonderer Moment."
Seit 1977 steht in Berlin ein direkter Abguss der vatikanischen Pietà. Das Original wurde Ende des 15. Jahrhunderts von dem noch jungen Michelangelo im Auftrag eines französischen Kardinals erschaffen. Der Kardinal wollte ein Bildnis der Jungfrau Maria mit ihrem toten unbekleideten Sohn im Arm. Es wurde Michelangelos frühes Meisterwerk, das heute in einer Nische des Petersdoms hinter einer Glaswand zu sehen ist. 1964 wurde das Kunstwerk ausgeliehen. Die Pietà reiste damals auf die Weltausstellung nach New York.
"Das war das einzige Mal, dass das Original den Petersdom verlassen hat, und dafür wurde dann auch die erste Kopie gefertigt, für die Zeit der Abwesenheit, und später war man ja glücklich darüber, dass man diese erste Kopie hatte, weil die nötig war bei der Restaurierung."
Nach der Papstmesse am 21. Mai 1972 zog ein geistig verwirrter Mann – der sich selbst für Jesus Christus hielt – einen Hammer aus seinem Mantel und beschädigte die Skulptur. Er zerschlug einen Arm Marias und verstümmelte ihr Gesicht.
Hilfe kam von der chemischen Industrie
Damals wurde nach einem Verfahren gesucht, die Pietà zu restaurieren. Hilfe kam von der Chemie-Industrie. Polyesterharz wurde mit Marmormehl vermischt, und dank der in Rom vorhandenen Kopie konnten die schadhaften Stellen originalgetreu nachgebildet werden.
"Da gab es Mischtechniken und Materialanalysen, also Carrara-Staub und Polyester, und als Dankeschön dafür hatten sie den Chemikern den Wunsch erfüllt, eine autorisierte Abformung herstellen zu dürfen. Die wollten sie haben für eine Ausstellung 'Kunst und Chemie – Das Unersetzliche bewahren', weil der Verein Chemischer Industrie Deutschlands, der VCI, damals seinen 100-Jährigen feierte."
Es gab einen Festakt in der Deutschen Oper, die Berliner Philharmoniker spielten, und Bundespräsident Walter Scheel hielt eine Rede. Er sprach allerdings auch mahnende Worte, denn das Image der Chemieindustrie war gerade im Keller. So gab es 1976 in der italienischen Stadt Seveso einen schweren Chemieunfall, der zunächst verschwiegen wurde.
1978 bekam das Bistum Berlin eine Abformung der Pietà.
Auch die Ostberliner sollten die Pietà sehen können
Karl-Heinz Hoefs: "Ich glaube, dass unser Berliner Bischof, damals der Kardinal Bengsch, in Rom den Finger gehoben hat, um zu sagen, eine dieser Kopien hätten wir gerne in Berlin, denn da steht die Mauer, und die Leute im Ostteil meines Bistums, die werden nie Gelegenheit haben, nach Rom zu fahren, sodass die Leute sie dann da sehen können."
Seit der Wende können die ehemaligen DDR-Bürger wieder nach Rom reisen. Roswitha Sauer und Monsignore Hoefs waren schon da, aber beide kamen ein wenig enttäuscht zurück.
"Dort kann man weder Maria noch Jesus richtig ins Angesicht sehen, das kann man hier. Das ist, glaube ich, wichtig, so gehen die Menschen damit um, nicht als mit einer Kopie, sondern damit, dass sie Maria und auch Jesus in einem existenziellen Moment ins Angesicht schauen können und sich dadurch auch von Gott und von Maria selber angeschaut fühlen, in den Momenten inmitten des Schmerzes."
Und so ist die Berliner Pietà mehr als ein Kuriosum. Sie ist ein bewegendes Zeugnis der Osterbotschaft, die man Michelangelo, einem verwirrten Attentäter, einer Weltausstellung, dem Vatikan und der Chemie-Industrie zu verdanken hat.