Berühmte Panne in Pisa

Von Dietmar Polaczek · 09.08.2008
Ein Baufehler hat den Turm von Pisa schief und somit zum berühmtesten Turm der Welt gemacht. Schon bald nach dem Baubeginn vor 835 Jahren neigte sich der Turmsockel, weil der Untergrund nachgab. Lange blieb das Bauwerk unvollendet und drohte sogar einzustürzen. Moderne Ingenieurskunst hat ihn wieder ein wenig aufgerichtet und für die nächsten Jahrhunderte standfest gemacht.
Das letzte Viertel des 12. Jahrhunderts war eine künstlerisch besonders aufregende Zeit. In Paris erfand Pérotin die mehrstimmige Musik. In derselben Zeit wollten die Pisaner ihre Stadt zum neuen Rom machen.

Der Campo dei Miracoli, der Platz der Wunder, umfaßte eine Kathedrale, ein Baptisterium und einen Friedhof, alles aus Carrara-Marmor. Das schönste romanische Architekturensemble des Kontinents sollte von einem hundert Meter hohen, runden statt quadratischen Campanile mit Blendarkadengeschoßen überragt werden, doch das ging bald schief, im wörtlichen Sinn.

Der Platz wurde schnell, was er noch immer ist: ein Touristen- und Pilgerziel - damals mit Gauklern, Spielleuten, predigenden Mönchen und Festen lebendiger als heute.

Am 9. August 1173, nach der eigenwilligen Zählung der stolzen Republik Pisa 1174, legte man den Grundstein.

Ein gewisser Guglielmo hat in Pisa zusammen mit dem Bildhauer Bonanno das Fundament des Campanile des Doms gelegt.

Das schrieb vierhundert Jahre später Giorgio Vasari über die mutmaßlichen Erbauer des Turms mit solcher Überzeugungskraft, dass es lange geglaubt wurde. Die Behauptung ist so wackelig wie der Turm.

Heute nimmt man aufgrund von Stilvergleichen an, der Erbauer sei der als Dombaumeister dokumentierte Diotisalvi. Der Turm neigte sich bald nach Baubeginn, weil er auf dem nachgiebigen Lehmufer eines ehemaligen Hafenbeckens stand.

Beim dritten Arkadengeschoss angelangt, unterbrach man die Arbeit und tat das Übliche: Man setzte eine Kommission ein, um zu beraten, was zu tun sei. Erst hundert Jahre später baute man auf dem ein wenig schiefen Stumpf lotrecht weiter, nochmals drei Geschoße. Wieder neigte sich der Bau bedenklich. Ein neuer Baustopp. Nur die Glockenstube wurde - wieder vertikal - im 14. Jahrhundert auf den nun schon 41,2 Meter aus dem Lot hängenden Turm gesetzt. Bei 54 Meter Höhe war Schluss. Der Turm war nicht nur schief, sondern auch krumm geworden.

Die Neigung nahm millimeterweise über die Jahrhunderte zu. 1990 drohte der Turm zu kippen, wurde für Besucher gesperrt. Wieder eine Kommission und viel Streit über mögliche Rettungsmethoden. Aber erst nach dem Erdbeben von 1997 handelte man mit der gebotenen Eile. Der Turiner Ingenieur Michele Jamiolkowski und der Londoner Bodenmechaniker John Burland griffen eine ältere Idee ihres Kollegen Fernando Terracina auf.

Wir haben praktisch das Erdreich unter dem Fundament auf der neigungsabgewandten Seite abgegraben, und so richtete sich der Turm wieder auf,

erklärt Jamiolkowski. Dabei wurde mit einigen hundert Tonnen Bleigewichten nachgeholfen. 38 Kubikmeter Erdreich wurden unter dem Turm entfernt.

Wenn es uns gelingt, die Neigung um einen halben Meter zu reduzieren, würde das die Lebensdauer des Turms um mindestens dreihundert Jahre verlängern,

prophezeite John Burland bei Beginn der Arbeiten. Genau das trat ein, heute neigt sich der Turm weniger als noch 1990.

Seit dem 15. Dezember 2001 steigen wieder Besucher auf den Turm, auch ihre Zahl steigt: mehr als tausend täglich im Jahr 2007. Man schätzt die Einnahmen auf mehr als fünf Millionen Euro jährlich nur für den Turm, mehr als sieben Millionen für alle Bauten des Campo dei Miracoli zusammen. Die 28 Millionen Euro für die Rettung des Turms waren nach nur vier Jahren eingespielt. In den nächsten dreihundert Jahren wird der Turm für die Dombauhütte eine Geldpresse sein. Künftige Restaurierungen sind so schon gesichert.

Die Wunder des Doms und des Baptisteriums sind weniger begehrt, aber für die Touristen leichter zugänglich als das Jongleurkunststück des schiefen Turms. Denn für seine Besteigung ist die Besuchszeit begrenzt und muss vorbestellt werden. Das Gotteslob aber wird heute wie damals übertönt vom lärmenden Jahrmarkt der Neugier.