Berliner Volksbühne

Vom Zuschauer abgewandtes Zähnezusammenbeißen

Der Schauspieler Horst Günter Marx als Graf Augstein de Foxa in dem Stück "Kaputt" an der Berliner Volksbühne.
Horst Günter Marx als Graf Augstein de Foxa in dem Stück "Kaputt" an der Berliner Volksbühne. © dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Von André Mumot · 08.11.2014
An der Berliner Volksbühne nimmt Frank Castorf sein Publikum mit auf eine sechsstündige, quälend trostlose "Tour de force européenne". Er hat den Weltkriegsroman "Kaputt" des italienischen Ex-Faschisten und Kriegsreporters Curzio Malaparte inszeniert.
Nein, verwunderlich ist es wohl nicht, dass Frank Castorf, der passionierte Verarbeiter sperriger Riesenromane, nun bei Curzio Malapartes "Kaputt" gelandet ist, jenem skandalumwitterten Werk von 1943, in dem der Ex-Faschist und Kriegsreporter seine Fronterlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg und den Salons der politisch Mächtigen schilderte – als ambivalentes, schillerndes Panorama, irgendwo zwischen kühler Dokumentation und hemmungslos dekadenter Sprachschönheit.
Schon lange beschäftigt sich der Volksbühnen-Chef mit den Wurzeln von Nationalsozialismus und Antisemitismus, spürt aufmerksam dem Aufkommen des Herrenmenschen nach – mitunter auch dort, wo man es nicht unbedingt erwartet, in Tschechows "Duell" etwa oder in Balzacs "Cousine Bette". Aus beiden Werken hat er großes, wildes, herausforderndes Theater gemacht: böse, unerbittlich, furchtbar albern und von atemberaubender Energie.
Die Erwartungen sind dementsprechend hoch und werden – das wird schnell klar – auf spektakulär unspektakuläre Weise enttäuscht. Malaparte, das leuchtet ein, ist eine Gestalt, die Castorf ähnlich zu reizen vermag wie der ebenfalls dem rechten Rand zugehörende Romancier Celine, zumal der Italiener sich sehr profund mit dem deutschen Wesen, mit der deutschen Angst, der deutschen Brutalität auseinandersetzt. Auf der Bühne werden diese Sätze nun geradezu andächtig rezitiert, ohne klamaukiges Drumherum, konzentriert und mit ungewohnter Verzweiflungsattitüde. Retten aber kann das nichts.
Erst schriller Kriegslärm, dann triste endlose Ruhe
Schon Bert Neumanns Bühne ist diesmal unterkomplex ausgefallen – vor gelben Lacktapeten erheben sich Patronenhülsen wie riesige, schartige Säulen, ein Panzer taucht auf, und in einem kleinen Bunker mit Nazi-Holzvertäfelung im Inneren tummelt sich das Personal, um wie immer gefilmt und auf eine entsprechende Leinwand projiziert zu werden. Der Ton ist anfangs noch orgiastisch schrill, ein Kriegs- und Nachkriegslärm, Schlachtfeldgrollen, nackte Haut, schmerzverzerrte Gesichter und Texte, die zum Teil auch aus Malapartes zweitem großen Roman, "Die Haut" stammen. Später dann kehrt Ruhe ein, endlose, triste Ruhe, an der man vom Publikum aus zu ersticken droht. Auf sechs Stunden wächst sich die Aufführung aus, kämpft sich matt durch eine Szene nach der anderen, bewegt sich schleppend durch die titelgebende "Tour de force européenne", die der Untertitel verspricht, an der die Zuschauer aber nie wirklich teilnehmen können.
Es ist wohl einfach eine unglückliche Produktion – die Premiere musste wegen einer Verletzung von Jeanne Balibar, die hier mit Bart und Zitterfingern und wild aufgerissenen Augen den Malaparte spielt, verschoben werden, und zu allem Überfluss hat sich bei der nachgeholten Generalprobe nun auch noch Georg Friedrich den Ellbogen gebrochen und tritt kettenrauchend ausgebremst und mit Verband auf.
Es gibt Potential in diesem merkwürdig hermetischen, vom Zuschauer abgewandten Zähnezusammenbeißen: in den Auftritten von Hans Frank (Patrick Güldenberg) etwa, dem "Schlächter von Polen", dessen menschenverachtende, kunstbeflissene Vernichtungsrhetorik ein gefundenes Fressen ist für Castorfs zynischen Witz – zumal dann auch noch ein an Durchfall leidender Max Schmeling (Frank Büttner) seine Aufwartung macht. Doch selbst wenn hier ein bisschen Schwung in die Sache kommt (von dem nach der Pause nicht mehr die geringste Spur zu finden ist), so geht ausgerechnet dabei auch der verstörendste Teil von Malapartes Werk, die distanzlose, fast achselzuckende Bereitschaf, mit den Obersten des Nazi-Regimes freundschaftlich zu plaudern, in der wild aufflackernden Hysterie unter.
Doch alles ist besser als das, was danach folgt: Eine verkrampfte, verbissen trostlose Geschichtsstunde, die das, was sie über die Verworfenheit des Menschen zu sagen hätte, nicht über die Rampe bringt, während sie nicht aufhört, zu schwatzen, zu salbadern, zu fuchteln, zu schimpfen, zu jammern und zu greinen.
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