Berliner Kulturmisere

Kulturpolitik ist keine Kunst

Ein Arbeiter sitzt am 13.9.2016 in Berlin vor der Kulisse der Kuppel des Stadtschlosses neben dem Baugerüst an der Staatsoper Unter den Linden.
Ein Arbeiter sitzt am 13.9.2016 in Berlin vor der Kulisse der Kuppel des Stadtschlosses neben dem Baugerüst an der Staatsoper Unter den Linden. © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Tim Schleider · 18.10.2016
Kulturpolitik gilt vielen als ein politisch besonderes sensibles Betätigungsfeld, das eine besondere Art von feinsinnigen, gebildeten, intellektuellen Politikern braucht. Stimmt das? Eine Analyse am Beispiel Berlins.
Wo kommt er her, der ideale Kulturminister? Fragt man Künstler und Kulturschaffende danach, sind die meisten einer Meinung: Am besten ist es jemand von ihnen selbst. Mindestens aber ein Gelehrter. Kulturpolitik sei eine besondere Sache – die erfordere viel mehr Sach- als Politikverstand.
Andererseits möchte man natürlich auch nach außen ernst und wichtig genommen werden. Irgendwie müsse Kulturpolitik darum auch unbedingt Chefsache sein – damit sich wirklich etwas bewegt.
Super gelaufen in Berlin bislang – oder etwa nicht?
Nun, wenn diese beiden Anschauungen zusammen der Garant für erfolgreiche Kulturpolitik wären, hätte die Hauptstadt Berlin in jüngerer Zeit eigentlich alles richtig gemacht. Als Kulturstaatssekretär ist seit April 2014 Tim Renner im Amt, von Hause aus Produzent, Kulturmanager, Autor und Musikexperte, als Quereinsteiger mit coolen Insiderkenntnissen ins Amt geholt. Politisch verantwortlich für die "kulturellen Angelegenheiten" blieb aber der Regierende Bürgermeister persönlich. In Berlin war die Kulturpolitik also beides: Expertending und Chefsache. Müsste doch super gelaufen sein!

Kulturpolitik lässt sich nicht nebenher machen

Ist es aber bekanntlich nicht. Sachfremd, beratungsresistent, undemokratisch, willkürlich – das sind noch die vornehmeren Vokabeln, mit denen sich prominente Teile der Kulturszene der Hauptstadt vor allem gegen eine Reihe von Personalentscheidungen zur Wehr setzen.
Zu Recht? Das soll hier gar nicht entschieden werden. Wichtiger ist, ob der Fehler nicht nur womöglich in diesem oder jenem Detail steckt, sondern vielmehr im Konstrukt selbst. Die Idee, ein Regierungschef könne die Kulturpolitik schon noch irgendwie mit erledigen, zusätzlich zu seinen vielen anderen Aufgaben, diese Idee zeugt eben nicht davon, dass man dasFach adeln will, sondern dass man es gering schätzt.

Wo bleibt der Respekt vor der Sache?

Und die andere Idee, Kulturpolitik sei eigentlich ein Expertenthema, das man quer zu politischen Strukturen von einem Professor oder Manager gestalten lassen müsse, zeugt keineswegs von Respekt vor der Sache. Sondern vom Verkennen der Kulturpolitik. Man entrückt die Kulturpolitik aus dem politischen Alltag und verklärt sie zu einer Art Forschungs- und Debattenprojekt. Heraus kommt dabei erstaulich viel Murks.
Auch, wenn es viele Künstler nicht gern hören: Im Kern geht es bei Kulturpolitik um nichts anderes als auch in der Innenpolitik, der Baupolitik, der Landwirtschafts-, Familien- oder Verkehrspolitik. Es geht um Ziele und Werte und um die Kleinigkeiten des Alltags. Es geht um die Analyse dessen, was besteht, was Probleme bereitet, wo etwas fehlt und wie dies zu verbessern wäre. Dann geht es um Gelder und Finanzen, um mögliche Bündnispartner und um Kompromisse – und all diese Debatten sollte man eigentlich nicht gezielt außerhalb der Parteien führen, sondern mitten in diesen Parteien.

Ein eigener Kultursenator für die Hauptstadt

Ein großes Problem der Kulturpolitik in Deutschland scheint mir, dass sie nun schon über viele Jahre hinweg so gründlich entpolitisiert worden ist. Es wäre gut, wenn Kulturpolitik bei uns wieder parteipolitischer würde, mit Debatten mitten in den Parteien und im Parlament statt parallel dazu. Und was wäre in absehbarer Zeit ein erster guter Schritt dorthin?
Wenn Rot-Rot-Grün bei seinen Verhandlungen in Berlin neben vielem anderen auch dies entscheiden würde: Einen eigenen Kultursenator, ganz ordentlich gestellt von einem der politisch verantwortlichen Koalitionäre, mit parlamentarischer Erfahrung und Hausmacht, mit Ambitionen, mit Karriereträumen und gern auch ein wenig mit Stallgeruch. Denn Kulturpolitik ist keine Kunst. Es ist einfach dies: Politik.

Tim Schleider, Jahrgang 1961, geboren in Bremen, nach Studium in Berlin, Göttingen und Hamburg Ausbildung als Journalist und Tätigkeit als Politik- und als Kulturredakteur. 1994/95 Pressesprecher der Hamburger Kultursenatorin Christina Weiss. Seit 2000 Leiter des Kulturressorts der Stuttgarter Zeitung, seit 2016 zugleich Leiter des Kulturressorts der Stuttgarter Nachrichten.

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