Berlin

Ein Jugendkloster im Herzen der Hauptstadt

Von Matthias Bertsch · 08.02.2014
Noch ist St. Adalbert eine baufällige Kirche im Berliner Bezirk Mitte, doch Pater Gerold Jäger hat Großes mit ihr vor: Sie soll ein ökumenisches Zentrum werden, Kirche und Wohnheim in einem. Wohnen sollen dort dann später Studenten - aber kann das funktionieren: Ein Kloster mitten in Berlin?
Wer die Torstraße im Berliner Bezirk Mitte an Galerien und kleinen Läden entlang flaniert, muss schon wissen, wo sich die St. Adalbert-Kirche befindet. In ein Wohnhaus eingebaut fristet die 1930 errichtete Kirche in zweifacher Hinsicht ein Schattendasein: Sie ist marode und von außen nicht zu erkennen. Die Herz-Jesu-Gemeinde, zu der St. Adalbert gehört, nutzt sie zwar ab und zu, doch ihre Baufälligkeit lässt keinen Zweifel daran, dass hier dringend etwas getan werden muss - und genau das macht den Reiz aus, sagt Architekt Uwe Welp, dessen Büro sich seit fünf Jahren mit St. Adalbert beschäftigt.
"Es ist so, dass uns dieses Projekt nach und nach immer mehr faszinierte, weil wir finden, dass es total wichtig und sehr sehr schön wäre, hier in dieser Gegend, in diesem Szeneviertel einen Ort zu schaffen für christliches Leben, einen Ort zu schaffen für junge Leute, die hier ihren christlichen Glauben leben können oder ihren Glauben finden können, und unser wichtigstes Anliegen als Architekten ist eigentlich, aus diesem Ort, der so in einem Dornröschenschlaf liegt, einen Ort zu schaffen, der wirklich so ist, dass junge Menschen sich hier zuhause fühlen."
Viele Studierenden haben Angst vor Arbeitslosigkeit
Jungen Menschen ein Zuhause zu geben ist auch das Anliegen von Pater Gerold Jäger. Als ehemaliger Pfarrer der Herz Jesu Gemeinde und Mitglied von Chemin Neuf ist er für das Projekt St. Adalbert verantwortlich – auch wenn er seit einigen Jahren in Bonn lebt. Als Hochschulpfarrer macht er dort immer wieder die Erfahrung, dass die Studierenden vor allem eine Sorge umtreibt: Werde ich einen Arbeitsplatz finden?
"Bei vielen jungen Leuten spürt man das, dass es so eine Grundunsicherheit gibt, und man versucht, diese Sicherheit zu gewährleisten, indem man möglichst schnell möglichst gut studiert und dann möglichst schnell im Arbeitsmarkt unterkommt und dann geht aber eigentlich ne Dimension von Denken verloren, man denkt nicht mehr nach über das Leben. Also wenn ich nur danach laufe, irgendwie nen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen, ich meine, das ist wichtig, das ist ja keine Frage, aber wenn ich studiert hab und ein entsprechendes Charisma habe, also ein paar Begabungen, ein paar Werte mitbringe, dann kann ich doch viel mehr gestalten in der Gesellschaft als nur mich irgendwie einfügen."
Um aber gestalten zu können, braucht es eine Grundlage, ist Jäger überzeugt – und diese Grundlage soll in St. Adalbert gelegt werden. In der Kirche und dem dazugehörenden Wohnhaus will Chemin Neuf nicht nur ein ökumenisches Begegnungszentrum errichten, sondern vor allem auch ein Wohnheim für Studierende, in dem diese ein bis zwei Jahre verbringen.
Ein Rückzugsort für junge Leute
"Im Herz dieses Zentrums St. Adalbert wird eine Kommunität wohnen von der Gemeinschaft Chemin Neuf, das wird auch wechseln, zwischen fünf bis zehn Geschwistern, die hier einen Tagesablauf haben, die Gebetszeiten miteinander pflegen, die miteinander essen, und in dieses kommunitäre Leben sind dann die Studierenden mit hineingenommen und können es teilen. Es gibt einige verbindliche Elemente und es gibt andere Momente, wo man einfach dazukommen kann und das genießen kann, in einen Gebetsrhythmus mitten in der Stadt mit reingenommen zu sein.“
Ganz normal an einer Universität studieren und gleichzeitig in einem Jugendkloster wohnen - im Herzen Berlins, wo Spaß und Unterhaltung angesagt sind. Kann das aufgehen? Ja, sagt die Vorsitzende des ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg und Pröbstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Friederike von Kirchbach:
"Selten in Berlin ist der Veränderungszyklus so rasch wie hier und deswegen find ich es genau hier, in dieser jungen quicklebendigen Mitte, ist es genau der richtige Ort, so etwas anzubieten, einerseits zum Rückzug, andererseits für die jungen Leute und durchaus nach außen gerichtet, also in dieser Kombination großartige Idee und ich kann sie nur loben und unterstützen."
Ähnlich wie von Kirchbach unterstützt auch der ehemalige Bundestagspräsident, Wolfgang Thierse, das Projekt.
"Es gibt ja auch das Bedürfnis nach dem Kontrast, nach dem anderen, nach nicht dem Üblichen, auch das gibt es nicht nur das Laute, sondern auch bei jungen Leuten gibt es eine Menge Leute, wir wollen auch etwas anderes, unser Leben besteht nicht nur aus einer Folge von Spaß."
Thierse ist Katholik, von Kirchbach Protestantin, und beide sind sich einig: Wenn christliche Projekte in Berlin eine Zukunft haben, dann solche, die ökumenisch ausgerichtet sind wie die Gemeinschaft Chemin Neuf, deren zentrales Anliegen die Einheit der Christen ist.
Erst 15 Prozent der Kosten sind gedeckt
„Wir fallen unter 30 Prozent allmählich, wir können nicht noch anfangen, unsere Unterschiede zu erklären. Besser ist wir gehen gemeinsam ins Geschäft und versuchen über unsere Gemeinsamkeiten zu reden, zum Beispiel, dass wir als Kirchen gemeinsam überlegen, welche Angebote können wir machen, dass Jugendliche uns attraktiv finden, dass ist zugegebenermaßen eine ernste und gründliche Frage, die wir uns stellen müssen.“
An anderen Orten zumindest funktioniert das Konzept, Chemin Neuf betreibt bereits Studentenwohnheime in mehreren Großstädten Europas. Doch bis in Berlin der Umbau beginnt, müssen erst noch die Spenden fließen. Von den geplanten knapp fünf Millionen Euro sind bislang 15 Prozent eingeworben, der Rest soll von Stiftungen und Einzelpersonen aufgebracht werden.
Dann kann sich Architekt Uwe Welp an die Umsetzung seiner Pläne machen. Sie liegen bereits fertig in der Schublade. Neben der Kirche soll im Erdgeschoss ein ökumenisches Kulturzentrum entstehen, im ersten Stock sind Seminarräume geplant und in den Etagen darüber die kleinen, an Zellen erinnernden Zimmer der Studierenden. Das architektonische Highlight des Projektes allerdings befindet sich auf dem Dach: ein rund 80 Quadratmeter großer Gebetsraum, deren Fensterfront den Blick auf die Silhouette Berlins, die Kuppel der ehemaligen Synagoge und den Fernsehturm, frei gibt.
"Ein klassischer Kirchenraum ist ja eher introvertiert, das heißt, es gibt eigentlich wenig Fenster, es soll auch keine geben normalerweise, die Menschen konzentrieren sich auf was Inneres, auf den Altar, auf das Kreuz, auf das Gebet, und hier soll das Gebet stattfinden im Angesicht der Stadt, das heißt, wir möchten gern, dass die Menschen die Stadt Berlin, mit allem was dazugehört, nicht aus dem Auge verlieren, während sie sich hier auf Gott konzentrieren. Sie sollen im Gebet eben auch diese Umgebung erleben können.“
"Geist für die Metropole“ - unter diesem Motto will Chemin Neuf den christlichen Glauben in Berlin mit neuem Leben füllen. Es ist ein Experiment, das wissen die Beteiligten, doch sie sind fest überzeugt, dass der geplante Umbau in St. Adalbert im Januar 2016 beginnen kann.