Belletristik

Autobiografisches Traumjournal

Von Katharina Döbler · 29.07.2014
In seinem Debüt schafft der guatemaltekische Autor Eduardo Halfón einen eigenen Stil aus Essayistik und Fabuliererei, aus Reportage und Traumjournal. Entstanden ist ein Werk mit viel literarischem Wagemut.
"Der polnische Boxer" ist das erste Buch des guatemaltekischen Schriftstellers Eduardo Halfón, das auf Deutsch erscheint. Der Verlag hat "Roman" unter den Titel geschrieben, was nicht ganz falsch ist und trotzdem nicht stimmt.
Halfons Buch ist eine Mischung aus Selbsterforschung und Selbstfiktionalisierung, aus Essayistik und Fabuliererei, aus Reportage und Traumjournal. Ähnliches kennen wir von vielen interessanten Autoren Lateinamerikas, etwa dem großartigen Sergio Pitol, mit dem Halfon auch den Hang zu osteuropäischer Melancholie teilt.
Persönliche Reflexion mit vielen Facetten
"Der polnische Boxer" bietet also keine stringente Romanhandlung, sondern umkreist autobiografisch reflektierend und erzählend das Thema Herkunft mit seinen Facetten Religion, Kultur, Familie in verschiedenen Geschichten. Eine davon ist die des jüdischen Großvaters, der aus Lodz in Polen stammte, und stets behauptete, die Nummer auf seinem Arm sei seine Telefonnummer, die er nicht vergessen wolle. Und irgendwann erzählte er seinem Enkel, dass er nur dank der Ratschläge eines polnischen Boxers Auschwitz überlebt hätte.
Keine der Geschichten in Halfons Buch ist rund und abgeschlossen. Die Suche nach Spuren des serbischen Romamusikers Milan Raki etwa, die den Ich-Erzähler nach Belgrad führt, verliert sich in einem Wirrwarr vieler anderer Geschichten, denn die Spuren des Verschwundenen sind eben auch nur – Geschichten.
Wundersame Zielgenauigkeit auf das Ungefähre
Eduardo Halfón verwischt dabei die Grenze zwischen Autor und erzählendem Ich: Die Figur, die in allen Erzählungen des Buches auftritt, ist wie er ein US-amerikanischer Guatemalteke, ein Jude, der keiner mehr sein will, ein Literatur-Professor und Geisterjäger. Er raucht viel, trinkt nicht wenig, hört gerne Jazz, vor allem Thelonious Monk, und liebt meistens eine Frau namens Lía, die ihre Orgasmen zeichnet.
Was Halfón auszeichnet, ist literarischer Wagemut und eine wundersame Zielgenauigkeit auf das Ungefähre. Es gibt keine gültige Wahrheit oder konkrete Geschichtlichkeit in seiner Prosa, aber wunderbare Beschreibungen einer nicht zu entschlüsselnden Realität.

Eduardo Halfón: Der polnische Boxer
Roman. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen und Luis Ruby
Hanser, München 2014
219 Seiten, 18,90 Euro

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