"Bei Mozart entsteht die Liebe"

Moderation: Susanne Nessler · 02.01.2006
Der Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer hat für sein Buch "Mozart oder die Entdeckung der Liebe" sieben Mozart-Opern genauer unter die Lupe genommen. Der Komponist sei ein Rebell seiner Zeit gewesen, da es ihm nicht um die Darstellung von Zweckbündnissen, sondern um eine Liebe der Liebe willen gegangen sei.
Nessler: Und es geht weiter mit Mozart: ein Jahr lang Mozart in allen Facetten. Bereits sind verschiedene Bücher über den Wunderknaben aus Österreich erschienen, darunter eines mit dem Titel "Mozart oder die Entdeckung der Liebe". Geschrieben hat es Dieter Borchmeyer, er ist Professor für Neue Deutsche Literatur und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Herr Borchmeyer, ich grüße Sie!

Borchmeyer: Grüß Gott!

Nessler: Sie haben in Ihrem Buch über Mozart und die Liebe geschrieben. Ich nehme jetzt mal an, da geht es nicht nur um die Beziehungsgeschichten des Musikgenies.

Borchmeyer: Nein, es geht überhaupt nicht um die Beziehungsgeschichten Mozarts, wenn es denn solche überhaupt in seinem Leben gegeben hat, sondern es geht tatsächlich um sein Werk, und zwar vor allen Dingen um seine sieben großen Opern aus dem letzten Lebensjahrzehnt und die Art und Weise, wie hier der empfindsame Liebesgedanke des 18. Jahrhunderts eine neue Ausdrucksform findet.

Nessler: Jetzt lassen Sie uns trotzdem kurz ein paar persönliche Details aus Mozarts Leben erzählen. Was hat Mozart zum Thema Liebe und Heirat – das ist ein Zitat, was Sie Ihrem Buch voranstellen – denn gesagt?

Borchmeyer: Ja, für Mozart war es sehr wichtig, dass seine Ehe mit Constanze, seine Liebe, und vorher die Liebe zu ihrer Schwester vollkommen zweckfrei war. Er vergleicht das mit einem adeligen Freund der Familie, der gerade geheiratet hat, und zwar handelt es sich hier nur um eine "Geldheurat" und, wie es eben im Adel üblich war, dass man aus Gründen des Hauses, des Standes und dessen vermögensrechtlicher Aufrechterhaltung bestimmte Vernunftehen schloss. Das schließt Mozart für sich aus. Er will wirklich nur aus Liebe, um der Liebe Willen heiraten und ohne jeden Nebengedanken.

Nessler: Ist er da so ein bisschen ein Rebell seiner Zeit?

Borchmeyer: Das könnte man in gewisser Weise sagen, obwohl das eine bürgerliche Auffassung war, die sich in der Literatur der Zeit immer wieder spiegelt, also so ganz sensationell ist das nicht, dass Mozart das sagt. Er sagt, wir armen Leute, wir heiraten eben aus Liebe und denken uns nichts weiter sonst bei der Ehe. Das könnte man rebellisch nennen, aber es ist doch ein weit verbreiteter Gedanke, wobei man auf der anderen Seite sagen muss, dass auch im bürgerlichen Bereich die Liebe nicht ohne Nebeninteressen zur Ehe führte. Gerade Leopold Mozart hätte doch gewünscht, dass sein Sohn eine bessere Partie macht und nicht eine von den Weberschen, wie die Familie mal etwas verächtlich sagte, heiratet, und Mozarts Schwester "Nannerl" hat die Ehe Mozarts nie gutgeheißen bis über seinen Tod hinaus. Man dachte also doch auch im Sinne gesellschaftlicher Allianzinteressen auch im bürgerlichen Bereich, aber davon wollte Mozart halt nichts wissen. Für ihn war es wirklich eine Liebe um der Liebe Willen. Das ist also das biografische Grundelement, aber darin erschöpft sich, weiß Gott, mein Buch nicht, es geht hauptsächlich um die Opern.

Nessler: Genau, darauf wollen wir jetzt auch zu sprechen kommen. Sie haben sich sieben große Opern angeguckt und haben auch gesagt, dass es jetzt dabei nicht um die persönlichen Lebensgeschichten Mozarts geht. Was bedeutet denn die Liebe in den Opern Mozarts?

Borchmeyer: Ja, es ist natürlich die Liebe bei Mozart ein weites Feld, denn es gibt auf der einen Seite die empfindsame Liebe, die sich wirklich gegen alle Interessen der Gesellschaft, Musterbeispiel ist Tamino, seine Liebe zu Pamina, es ist die Liebe zwischen Constanze und Belmonte in der Entführung und so weiter. Es gibt also diese empfindsame, zweckfreie Liebe, und dann gibt es aber natürlich auch die herkömmlichen machtgesteuerten Liebensinteressen, wie sie zum Beispiel die Elektra im Idomeneo repräsentiert, bei der Liebe und Macht in eins gehen, und es gibt da natürlich auch die herkömmliche galante, leichtfertige Liebe, die sich an einen Partner binden will, wie sie zum Beispiel der Graf im "Figaro" teilweise repräsentiert, obwohl er ja diese tiefe Liebe zu seiner Frau beibehält, aber nebenher möchte er doch noch auch in den Spuren der galanten Liebe wandeln, bis er dann am Schluss der Oper eine Wandlung erfährt, und diese galante Liebe erfährt dann ihre geradezu anarchische Auswirkung in der Gestalt Don Giovannis. Also es gibt sehr viele verschiedene Liebesdiskurse, wie man heute sagt, die galante Liebe, es gibt die höfische Liebe, es gibt die bürgerliche Liebe, also sehr viele Facetten der Liebe, aber das eigentliche Liebesmoment, auf das es Mozart ankam, war wirklich das empfindsame Liebesmoment und eine Liebe, die nicht selbstverständlich ist. Wenn Sie sich mal Opern anschauen von Händel, Barockopern, dann sehen Sie, die Liebe ist entweder da oder sie ist nicht da. Bei Mozart entsteht die Liebe. Wenn Sie sich die Bildnisarie Taminos anschauen, da wird wirklich die Liebe, wie das Mariveau genannt hat, als "amour necsaint", als gebärende Liebe, als entstehende Liebe geschildert. Zu Beginn weiß Tamino noch gar nicht, dass er verliebt ist, und er verliebt sich erst im Verlauf dieser Arie. Das Gefühl wird also in seiner Entstehung dargestellt, und das ist etwas wirklich Neues, das in das Theater durch Mariveau eingeführt werden soll, von dem dieser Begriff des "amour necsaint", der entstehenden Liebe stammt.

Nessler: Herr Borchmeyer, Sie sind Literatur- und Theaterwissenschaftler. Was ist denn das Spannende in der Wechselbeziehung zwischen Literatur und Musik?

Borchmeyer: Ja, nun, die Wechselbeziehung zwischen Literatur und Musik ist jetzt ein großes Thema in der Literaturwissenschaft. Ich bin kein Musikologe, und das merkt man meinem Buch bisweilen sicher auch an, dass ich kein professioneller Musikwissenschaftler bin, aber dafür habe ich, glaube ich, doch Dinge entdeckt, auf die die Musikwissenschaftler nicht so leicht kommen. Ich habe Mozart in ein breites Beziehungsgeflecht der Literatur und des Dramas seiner Zeit gestellt, und was mir sehr wichtig ist, zu erkennen, wie Mozart mitarbeitet an der Dramaturgie seiner Stücke. Es ist nicht so, dass er einfach ein Libretto übernommen und seine Musik darüber gegossen hat, sondern er hat doch einen maßgeblichen Anteil auf die Konzeption seiner Libretti genommen und deren Dramaturgie ganz entscheidend mitbestimmt, und das versuche ich zu demonstrieren. Deshalb, manche kritisieren, dass ich die frühen Opern Mozarts nicht berücksichtige, das hängt einfach damit zusammen, dass Mozart auf seine Libretti vor dem "Idomeneo" so gut wie keinen Einfluss hatte, aber die Libretti seit dem "Idomeneo" sind nicht nur Libretti der Librettisten, sondern es sind auch Libretti von Mozart. Er hat sie dramaturgisch ganz entscheidend mitbestimmt.

Nessler: Ist es auch das, was heute Mozart für uns noch so faszinierend macht?

Borchmeyer: Ja ganz bestimmt, denn wenn Sie einfach sehen, was Mozart getan hat im Vergleich mit der Oper seiner Zeit, dann erkennen Sie das sehr wohl. Ich habe jetzt von der berühmtesten Liebesarie der Musikgeschichte, nämlich der Bildnisarie aus der "Zauberflöte" gesprochen, wenn Sie sich das mal anschauen, es handelt sich hier bei dieser Arie um ein Sonett. Das ist eigentlich eine ganz unmusikalische lyrische Gattung, die einen bestimmten Erkenntnisprozess darstellt für traditionell, und das passt eigentlich nicht zu einer Arie. Die Arie ist herkömmlicherweise eine Dacapo-Arie und hat eine zirkuläre Struktur und nicht so eine prozessuale, wie das Sonett sie vorschreibt, aber Mozart vertont eben ein Sonett, und er macht keinen zweiten Textdurchgang, er komponiert wirklich am Text entlang, und die Arie mündet in kein Dacapo. Also das zeigt, dass Mozart einfach eine neue Vorstellung von Arie hatte, eine Arie, die auch nicht nur bloßen Handlungsstillstand bedeutet, lyrischen Erguss, sondern es ist eine, auch in der Arie ereignet sich etwas, auch die Arie ist Drama. Das ist etwas, was bei Mozart ganz wesentlich ist.

Nessler: Vielen Dank für das Gespräch.