Bei Friederike Mayröcker und anderswo

Geschichten vom Sein und Schein

Die österreichische Schrifstellerin Friederike Mayröcker im Oktober 2014
Sein und Schein spielte auch eine Rolle in Friederike Mayröckers literarischem Werk. In dieser Woche wurde sie 90 Jahre alt. © imago/SKATA
Von Tobias Wenzel · 20.12.2014
Das Spiel mit Sein und Schein - machte Friederike Mayröcker - die diese Woche ihren 90. feierte - zum Thema eines ihrer Gedichte. Dieser Gegensatz von Wirklichkeit und Vorstellungswelt zieht sich durch die Feuilletons der Woche, die weltweit ausholen: von Wien über Dresden, dann Hollywood, Nordkorea und am Schluss Polen.
"in der Küche stehn wir beide
rühren in dem leeren Topf
schauen aus dem Fenster beide
haben 1 Gedicht im Kopf."

Zum 90. Geburtstag von Friederike Mayröcker zitierte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG dieses Gedicht, das die Autorin kurz vor dem Tod ihres Mannes Ernst Jandl geschrieben hatte. Im "leeren Topf" rühren, als wäre etwas drin – das Spiel mit Sein und Schein hatte die Feuilletons dieser Woche fest im Griff.

Der Kunstberater Helge Achenbach soll sehr reiche Menschen, darunter den Aldi-Erben Berthold Albrecht, um Millionen betrogen haben. Er beschaffte seinen Kunden teure Autos und vor allem Kunstwerke. Allerdings soll er Rechnungen gefälscht haben, um nicht nur die vereinbarte Provision zu kassieren, sondern auch noch die Differenz zwischen tatsächlichem und fingiertem Ankaufspreis. Aber wieso wurden die Kunden von Achenbach erst so spät stutzig? Niklas Maak lieferte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG indirekt einen Erklärungsversuch:

"In der [...] kargen Welt des extremen Reichtums muss Achenbach gewirkt haben wie der charmante Bad Boy auf dem Schulhof, der schon raucht und die Typen mit den dicken Motorrädern kennt. Achenbach nahm seine Kunden mit in eine Welt, die es in Polo- und Golfclubs nicht gab: Das Glitzern der VIP-Sammlerlounges, die netten Galeristen mit ihren Parties, die Bässe, Abendkleider aus nepalesischer Spezialseide, so nice to meet you – Wer war das? – Eine Galeristin aus Guatemala. Aha! Und was nehmen die da hinten in der Ecke jetzt für ein Zeug?"

Kritik an der Entscheidung von Sony
Glaubte man ihrem Namen, wären sie der Hüter des Friedens, die Hacker "Guardians of Peace", die vermutlich für den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-Un arbeiten. Nach Frieden klingt das eben so wenig wie die Tatsache, dass die Hacker von Sony Pictures Daten raubten und im Internet veröffentlichten und dem Filmkonzern und den US-amerikanischen Kinobetreibern mit Mordanschlägen für den Fall drohten, dass sie die Komödie "The Interview" zeigen.
Diese "Guardians" verständen "von Satire offenkundig weniger [...] als Till Eulenspiegel von Computerkryptographie", schrieb Dietmar Dath in der FAZ. David Steinitz konnte den Film, der nun vielleicht nie öffentlich gezeigt wird, noch in einer Pressevorführung sehen.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schrieb er:
"Was also ist das für ein Monster von einem Film, den Menschen mit Hacker-Angriffen und Terrordrohungen verhindern wollen? Zunächst einmal: es ist ein sehr lustiger Film – und vor allem viel mehr eine smarte Selbstparodie des US-Showbusiness als eine Herabwürdigung Nordkoreas."
Ein von James Franco gespielter koksender Talkmaster und der Produzent der Sendung haben ein Exklusivinterview mit Kim Jong-Un bekommen und werden daraufhin von der CIA beauftragt, den Staatschef zu ermorden.
"Der nordkoreanische Diktator ist ja nicht der Einzige, der Fiktionen als Tatsachenbehauptungen liest", schreibt Claudius Seidl in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG und kritisiert die Entscheidung von Sony Pictures, den Film komplett zurückzuziehen, als feige. Hanns-Georg Rodek zitierte in der WELT Michael Moore mit den an die Hacker gerichteten Worten:

"Nun, da ihr Hollywood regiert, hätte ich auch gern weniger romantische Komödien, Michael-Bay-Filme und keine weiteren 'Transformer'." Daniel Haufler sprach in der BERLINER ZEITUNG von einer "bitteren Niederlage [...] für die Freiheit der Kunst" und Torsten Krauel in der WELT von einem "Terrorakt".
Teetrinken beim "nicht integrierten" Araber
Von den selbsternannten Hütern des Friedens zu den selbsternannten Hütern des Abendlandes. Von den nordkoreanischen Hackern zum südkoreanischen Philosophen Byung-Chul Han. Der erklärte in der SZ die Dresdner Pegida-Bewegung so:
"Aus der lähmenden Angst, abgehängt zu werden oder nicht mehr dazuzugehören, befreien sich Menschen, indem sie einen imaginären Feind konstruieren. [...] Die externalisierte Angst entlastet die Seele. Hier liegt eine Verneinung vor, zu der nur eine Psychoanalyse Zugang hätte." Der Philosoph hat gesprochen: Pegida-Anhänger auf die Psycho-Couch!
Oder zum Teetrinken beim benachbarten "nicht integrierten" Araber? Pegida-Anhänger und jene "unflätigen" arabischen Jugendlichen hätten einiges gemeinsam, behauptete Marko Martin in seiner Polemik für die WELT:
"Da schwingen eben die einen zu den Songs der Nichtstimme Helene Fischer ihre Wampen, die anderen fahren sich mit hochgefeiltem kleinen Fingernagel ins Ohr und intonieren bei reichlich Baklava-Kohlenhydrat-Zufuhr ihre aus Lautsprechern krähenden Habibi-ya-Habibi-Gesänge."
Beide Seiten hätten "Minderwertigkeitskomplexe" und würden es sich in ihrer "selbstgebastelten Parallelwelt"gemütlich machen. Mit Islamismus auf der einen und Nazismus auf der anderen Seite habe das dagegen "meistens weniger zu tun".
Na, lieber Hörer, verwirrt von all dem Schein? Lust auf ein klares Sein? Auf eine Welt, in der man die Guten sofort als gut erkennt und die Nazis als Nazis? Kein Problem:
"Niedlich sieht er aus, der kleine Plastik-SS-Mann", schrieb Gabriele Lesser in der TAZ.
"Mit großen Augen und fröhlichem Lachen schaut er von seinem 'Tiger', dem wohl berüchtigsten deutschen Panzer im Zweiten Weltkrieg, auf das Schlachtfeld im Kinderzimmer. Während er mit der einen Hand einen Minifeldstecher festhält, reckt er die andere zum Gruß in die Höhe."
Das Lego-artige Spielzeug einer polnischen Firma, zu dem auch polnische Soldaten gehören, sei gerade der Renner in dem Land. Aber auch ins Ausland werde es geliefert. Klingt wie ein Hinweis für diejenigen, die noch ein krankes Weihnachtsgeschenk suchen. Gabriele Lesser verarbeitet ihr Entsetzen mit Ironie:
"Den Kopf kann man abreißen, durch die Gegend kullern und wieder aufstecken. Oder die Köpfe austauschen: den polnischen Kopf auf den SS-Mann-Körper. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt."
Mehr zum Thema