Bedeutung des Atmens in der Religion

Gotteswind, Heiliger Geist und pure Lebenskraft

Die Pastorin der Kirche der Stille, Irmgard Nauck, schlägt in Hamburg im Innenraum der Kirche gegen eine Klangschale.
Für die Meditation ist Atmen von zentraler Bedeutung. Aber nicht nur dort. Atmen hat in allen Weltkulturen eine herausragende Stellung. © dpa/ picture-alliance/ Angelika Warmuth
Von Peter Kaiser · 27.12.2015
In vielen Kulturen ist die Vorstellung verbreitet, dass Atem mit dem Hauch Gottes gleichzusetzen ist. Was atmet, atmet ohne unser Zutun, ist also göttlich. Im Christentum spricht die Bibel viel vom Atem Gottes. Eine Spurensuche.
Orly Lewis: "Man sagt Ruach Eloim, Wind des Gottes, die Idee ist der Geist von Gott, Spirit."
Dr. Rust: "Das ist ja auch noch ein wesentliches Moment beim Geist, es atmet ja nicht, Gott beatmet uns ja nicht, sondern wir müssen auch schon wollen, wir müssen uns dem öffnen, dieser Kraft Gottes."
Prof. van Eijk: "Und dieser Atem, der hebräische Begriff Ruach, wird in der späteren christlichen Tradition mit diesem Hagium-Pneuma, der Heilige Geist, verbunden als dasjenige, was den Menschen beseelt."
Montagabends treffen sich im Turmzimmer der Golgatha-Kirche in Berlin-Mitte Männer und Frauen, um zu meditieren. Beim hellen Ton einer Klangschale leitet die Meditationslehrerin Juliane Link die Teilnehmer immer tiefer in die innere Einkehr.
Für die Meditation ist Atmen von zentraler Bedeutung. Doch nicht nur dort: Atem hat in allen Weltkulturen und Religionen eine herausragende Stellung, denn Atem ist die Bewegung des Lebens, ohne Atmung existiert kaum ein Lebewesen. Dabei bedeutet Atmen oft auch zugleich Geist, Gottes Geist. Diese göttliche Dualität Atem-Geist heißt im Hinduismus "Atman" oder "Prana", im Buddhismus steht die Lebensenergie "Qi" dafür, im Hebräischen der Gotteswind "Ruach", und "Ruh" im Islam. Für die antiken griechischen Philosophen und Mediziner war Atem und Geist "Pneuma".
Philip van der Eijk: "Man hat in der vorsokratischen Philosophie, aber auch bei Aristoteles Hinweise darauf, dass Pneuma etwas Göttliches ist, etwas Feineres als die Luft, sagen wir mal, die wir so einatmen. Dass da eine spezielle Substanz noch hinzukommt, manchmal wird das mit dem Element der Himmelkörper verbunden. Dass Pneuma irgendwie mit dem Material, von dem die Sterne gemacht sind, dass das damit in Verbindung steht."
Philip van der Eijk ist Professor für Klassische Altertumswissenschaften und Wissenschaftsgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität. Pneuma, sagt er, galt den Griechen als Stoff, "um uns mit Intelligenz und dem Bewusstsein des Höheren, Göttlichen, Rationalen, des Geistigen auszustatten. Und diese Verbindung ist es, die dann in der späteren christlichen Tradition weiter entwickelt ist."
"Jeder, der die Bibel aufschlägt, liest das auf der ersten Seite. Und das zieht sich über das ganze alte Testament durch. Der Geist ist immer das Moment des Lebens."
Heinrich Christian Rust ist Pastor an der Braunschweiger Friedenskirche und Autor des Buches "Geist Gottes - Quelle des Lebens."
"Und in der griechischen Sprache "Pneuma" bedeutet eigentlich genau das Gleiche: Hauch, Wind, Atem, und die Weisheitsliteratur des Alten Testaments, etwa im Buch Hiob oder auch in den Psalmen, betont immer wieder, es gibt kein Leben, ohne das der Geist Gottes es bewirkt."
Was macht die Seele aus?
Der Heilige Geist ist die Übersetzung des hebräischen Ruach und griechischen Pneuma. Doch warum brauchten die Griechen Pneuma, fragt die israelische Historikerin Orly Lewis vom Institut für Philologie an der Humboldt-Universität. Orly Lewis arbeitet an einem Buch zum Begriff Pneuma:
"Im theologischen Bereich hat Pneuma wieder eine andere Bedeutung, die in den griechischen und römischen philosophischen und medizinischen Schriften nicht vorkam. Natürlich haben die monotheistischen Theologen von den philosophischen Ideen genommen."
Für die Forscher heute geht es darum, wie der Begriff Pneuma zu einem Weltverständnis in der Antike führte. Doch mehr noch: auch wenn Tausende Jahre inzwischen seit dem vergangen sind, so haben diese Fragen haben auch heute noch eine Bedeutung, meint Philip van der Eijk:
"Ich glaube, letzten Endes geht es um die Feststellung, woher kommt dasjenige, was menschliches Leben unterscheidet von tierischem Leben und von Pflanzen. Was macht die Seele aus? Und der Gedanke, dass die Seele eigentlich schon vor dem Leben existiert hat, und dann in einen Körper reingeht, und nach dem Tod dieses Körpers wieder weiterlebt, verschiedene Varianten dieses Gedankens findet man in vielen Kulturen.
Der Atem Gottes, in dem der göttliche Geist ist - kaum eine andere Vorstellung - sagen Kirchenwissenschaftler wie D.B. Macdonald, Thomas O'Shaugnhnessy und andere, aber auch Quellen wie das "Lexikon für Theologie und Kirche" - kaum eine andere Vorstellung ist zentraler in den Weltreligionen als diese."
Wird im Neuen Testament "Geist" mit dem griechischen "Pneuma" bezeichnet, so verbinden die Gläubigen im Islam mit dem Begriff "Ruh" Gottes Wind. In der Sure 15:29 im Koran heißt es, "...dass Gott Adam von seinem Geist einblies und ihn auf diese Weise lebendig machte". Für Buddhisten ist Geist das, was allem Handeln und Reden voraus geht. Durch "Sati" - Achtsamkeit gilt es, den Geist auf einen Punkt "Samadhi" zu führen, dort, wo die Konzentration am intensivsten ist.
In der Tiefe, sagt Philipp van der Eijk, geht es um die Hoffnung, dass dann, wenn unser Atem versiegt, Gottes Geist uns auf einer höheren Daseinsebene weiteratmen lässt, also "dass es nach dem Tod immer in irgendeiner Form weitergeht. Wenn der Körper stirbt, lebt die Seele weiter."
"Ich denke schon, bei Meditationstechniken wird sehr darauf insistiert, dass man sich auf den Atemvorgang konzentriert, weil das auch eine gewisse Konzentrationssteigerung mit sich bringt, ein Abschalten von der äußeren Welt, von der Umgebung. Und dann gibt es natürlich Raum für das Übernatürliche, das Religiöse, um sich zu entfalten. Und in dem Sinne ist da das Atmen auch eine Öffnung zu dem Spirituellen."
Das Jesusgebet als Beispiel für spirituelles Atmen
Ein Beispiel für die Öffnung zum spirituellen Atmen hin ist das "Jesusgebet", das seinen Ursprung im östlichen Mönchstum hat, und seit Jahrhunderten praktiziert wird. In jüngerer Zeit gab vor allem der Jesuit Franz Jalics im oberfränkischen Haus Gries Anleitungen zum richtigen "Jesusgebet", das, wie Jalics sagt...
"...zuerst zur Wahrnehmung der Natur führt, um die Aufmerksamkeit für das Göttliche zu erwecken. Anschließend führt der Weg dieses Gebetes zur Wahrnehmung des Atems und der Hände, um das Jesusgebet körperlich zu unterstützen."
Was genau das "Jesusgebet" ist, erläutert Juliane Link: "Also es ist so, ich verbinde in meinen Gedanken mit dem Einatmen Christus und mit dem Ausatmen spreche ich Jesus. Und je nachdem wie schnell oder wie langsam mein Atem geht, dehnt sich dann auch dieses Wort. Also Jeeesus, das wird dann ganz lang. Und es gibt am Ende der Ausatmung so eine kleine Pause, die stellt sich ein, die spüren wir mehr, wenn wir uns auf den Atem konzentrieren, und in dieser Pause kann sich dieser Jeeeesus, der Name Gottes ausbreiten. Das kann eine tiefe Meditationserfahrung werden. Wo ich das Gefühl habe, dass ich das nicht mehr tue, sondern dass das in mir geschieht. Und das ist etwas, was ich schon mit dem Geist Gottes in Verbindung bringen würde."
Heinrich Christian Rust von der Braunschweiger Friedenskirche fügt noch an: "Es gibt eben dieses Moment des Begrenztseins. Also ich kann ja nicht unentwegt einatmen. Ich kann nur ein bestimmtes Volumen, und dann halte ich inne, und dieser Moment zeigt mir, ok, mein Leben ist begrenzt. Und dieser Begrenzungsmoment, der zugleich ein Erfüllungsmoment ist, das ist das Interessante dabei, der kann so was sein wie eine spirituelle Berührung, ja."
Um Erfahrungen im und mit dem Atmen, dem Atem, geht es auch Juliane Link. Im Gegensatz zu vielen anderen Prozessen in unserem Körper, die automatisch und von uns unbemerkt ablaufen, können wir den Atem ganz bewusst wahrnehmen - und dies als einen Schritt auf den Weg zu Gott nutzen:
"Für mich hat das wirklich etwas zu tun mit diesem Geheimnis des Lebens, und in diesem Geheimnis ist Gott präsent."
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