Basisfragen der Lebensorientierung

11.01.2007
Ausgangspunkt für Grondins Buch ist das innere Gespräch, das den Menschen als Menschen auszeichnet. "Ich bin, also denke ich" – Grondin dreht Descartes’ <em>cogito ergo sum</em> versuchsweise um und geht auf die Fragen und Grübeleien ein, die Menschen nicht selten in den Sinn kommen, oft aber verschoben werden: "Was tun wir hier eigentlich? Warum sind wir da? Was soll das alles? Was dürfen wir erhoffen?" Derlei Fragen artikulieren die Frage nach dem Sinn des Lebens, sind Basisfragen der Lebensorientierung.
Hat das Leben einen Sinn? Der kanadische Philosophieprofessor differenziert: "Das Leben kann einen Sinn haben. Aber diese Hoffnung ist eben nur eine Hoffnung, sie wird sich nie in Gewissheit verwandeln lassen." Mit seinem Essay will Grondin helfen, diese Hoffnung zu artikulieren. Anders gewendet: Sein Büchlein liefert Gesprächsstoff für das innere Gespräch, Fragen und Argumente, Hinweise und Überlegungen, Beobachtungen und Entdeckungen – denn "man philosophiert vielleicht einsam, aber nie allein."

Anfangs stellt Grondin heraus, dass die Formel "der Sinn des Lebens" allem Anschein nach erstmals von Friedrich Nietzsche verwendet wurde. Das Fragen nach dem Sinn des Lebens hingegen begleitet die Philosophie von Anbeginn; man denke etwa an die klassische Philosophie, die vom "Zweck" oder "Ende" aller Dinge sprach, weniger vom "Sinn".

Weiterhin geht der Kanadier auf die unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes "Sinn" ein, zum Beispiel auf den Richtungs- und den Bedeutungssinn. Nach der Auseinandersetzung mit Vorstellungen, wonach jede Sinnerfahrung lediglich ein menschliches Konstrukt sei, behandelt Grondin schließlich die Fragen nach der Hoffnung, nach dem Glück, nach dem Sinn des Guten und nach den Quellen des Sinns.

Ausgehend vom griechischen Wort ariston, dem Superlativ zu agathon, dem griechischen Wort für gut, versteht Grondin alle Menschen als "praktizierende Aristokraten". Denn jedes Leben "strebt nach einem Mehr-Leben, ja nach dem Besten." Wer will nicht die besten Filme erleben, den besten Sportlern zuschauen oder die besten Freunde um sich wissen?

Dieses Streben, so Grondin, ist dem Leben immanent. Folglich besteht die Aufgabe der Philosophie vom Sinn des Lebens darin, "auf den Sinn zu achten, in den uns das Leben mitnimmt." In Zeiten des "hedonistischen Individualismus" mag es verblüffend klingen: Für Grondin liegt der Sinn des Lebens darin, sein Leben so zu führen, als ob es von höherer Instanz beurteilt werden sollte.

"Sobald uns das Gute anspricht, kommt die Frage nach dem Warum zu spät, denn das Gute ist es, da unserem Treiben immer schon Sinn einflößt. Dieses Gute liegt ... nicht in uns, sondern in der Selbstüberwindung, in der Transzendenz unseres winzigen Selbst."

Anders gewendet: Für Jean Grondin, Jahrgang 1955 und weltweit als Gadamer-Experte bekannt, ist der große Sinn des Lebens die Liebe, die man gibt und empfängt. Sie zeugt "von einem Sinn ..., der größer ist als wir. Dieser Sinn ist unsterblich."

Der gut hundertseitige fundierte und gut verständliche Essay wendet sich an philosophisch Interessierte, die vor Begriffen wie etwa "Gewissen" und "Bewusstsein", "Selbsttranszendenz" und "Selbstsorge" nicht zurückscheuen. Sie werden das Büchlein mit Gewinn lesen, ab und an auf kleine erhellende Beispiele stoßen und genügend Anregungen finden für das innere Gespräch:

"Denken heißt nun einmal, einen Raum zu betreten, der einem nie ganz gehört, den des inneren Gesprächs, das wie ein kleines Kind immer wieder Fragen stellt und sich über die große Welt wundert."

Rezensiert von Thomas Kroll


Jean Grondin: Vom Sinn des Lebens
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, 126 Seiten, 12,90 Euro