Ausstellung

Tempo, Technik und Kommerz

Von Carsten Probst · 25.03.2014
Der Aufbruch in die Moderne war auf Engste an die rasante Entwicklung technologischer Verfahren und wissenschaftlicher Forschung gekoppelt. Der Grundstein dafür wurde im 19. Jahrhundert gelegt. Das zeigt eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.
"Auf die Weltausstellung in London 1851 kamen ja schon über sechs Millionen Besucher. Die Pariser Weltausstellung von 1900 hatte schon über zehn Millionen Besucher zu verbuchen. Damit sind die Weltausstellungen auch die ersten Massenveranstaltungen ihrer Epoche gewesen, die wegweisend waren einerseits für die Eventkultur, andererseits aber auch für den Massentourismus."
Nichts anderes als ein riesiges Kulissenschieben, so scheint es in den Schilderungen von Co-Kurator Roland Prügel, waren die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts, Quell und Verstärker all jener seligmachenden Neuerungen der Kulturindustrie, der wir uns bis heute auf so ambivalente und bisweilen zynische Weise erfreuen. Die in sich geschlossene Konsumwelt, in die die Weltausstellungen das Massenpublikum entführen wollten, wirken aus heutiger Sicht wie Setzlinge der globalisierten Medien- und Warenwelt von heute, mit vergleichsweise bescheidenen technischen Mitteln zwar, aber mit demselben perfiden Drang, den massenhaften Vertrieb von Merchandisingartikeln und das Betreiben von Vergnügungsparks als den wahren Fortschritt der Menschheitsgeschichte zu verkaufen. Und alle, alle kamen sie...
"Sie sehen hier einige Bilder von der Vergnügungsmeile in Chicago 1893, da war so etwas zu sehen wie eine künstliche Alpenformation, damit die Besucher so ein bisschen Bergsteigergefühle erleben konnten, ein javanisches Dorf, das deutsche Dorf und ein Nachbau von Alt-Wien. Das sind alles ephemere Gebäude gewesen, die man nach der Weltausstellung abgerissen hat."
Wohnkultur im Disney-Format
Ganze Nationen nutzten den Scheinwelt-Charakter, um ihre eigene nationale Identität bald sentimental, bald breitbrüstig zu bewerben. In Paris 1878 präsentierte sich Holland exemplarisch mit einer Art Disneylandversion der eigenen traditionellen Wohnkultur, einer sogenannten Hindeloper Stube, die mit bemalten Möbeln und ganzen Raumausstattungen die Lebenswelt des traditionellen Amsterdamer Bürgertums heraufbeschwören sollte. Allerdings waren diese Einrichtungen nur auf alt gemacht, historische Staffage in Zeiten einer verbreiteten Sehnsucht nach beständigen Werten – aber immerhin doch verführerisch und echt genug wirkend, dass auch Museen sich von der Inszenierung hinreißen ließen.
"Hindelope war ein durchschlagender Erfolg und veranlasste dann mehrere Museen, die sich mit Volkskunde beschäftigt haben, auch so eine Hindeloper Stube zu erwerben, und das hat letztlich auch das Germanische Nationalmuseum gemacht, und das zeigt auch wiederum, wie die Wege gehen von den Weltausstellungen zu bestimmten inszenatorischen Formen im Museum und wieder zurück."
Die gleichzeitige Entwicklung der Massenmedien, vereinfachter Bilderdruckverfahren in Zeitungen und Zeitschriften und eine viel schnellere Kommunikation über Postkarten, Telegramme und schließlich das Telefon unterstützte die Entwicklung, Leuten an weit entfernten Orten von Dingen zu berichten, die sie niemals selbst erleben würden und worüber man ihnen daher alles mögliche erzählen konnte. Co-Kurator Markus Zepf zeigt in der dritten Abteilung dieses überaus dichten Ausstellungsparcours, dass gerade auch in der Musikkultur des 19. Jahrhunderts das fortschrittliche Element stets mit dem retardierenden einherging.
Der "Freischütz" - ein bürgerlicher Marketing-Coup
Die rasante Entgrenzung der Märkte und der Industriewirtschaft, die die Weltausstellungen zeigten, faszinierte und ängstigte das Publikum gleichermaßen, beschwor nationale Gegenbewegungen herauf. "Der Freischütz" etwa avancierte zur großen, generationenübergreifenden Sinnstiftungsoper und zugleich zum gutbürgerlichen Marketing-Coup:
Markus Zepf: "1821 in Berlin uraufgeführt, war er rasch zur Nationaloper geworden, wobei ich hier sehr schön finde, dass wir im Fundus auch dieses Papiertheater haben, an dem man sehen kann mit Kulissen von den 1870er-Jahren über das Proscenium und die Bühnenanlage um 1900 bis in die 1980er Jahre war dieses Theater in Gebrauch. Jede Generation hat damit gespielt und irgendeine Ausstattung oder eine Ergänzung oder eine Reparatur hinterlassen, so dass man auch sehen kann, wie über Generationen hinweg so ein Sujet wie der 'Freischütz' im Kinderzimmer oder Wohnzimmer heimisch war."
Die Musikkultur vollzog den allgemeinen Trend zu Kommerzialisierung und Individualisierung bloß nach. Von Billiginstrumenten, für deren Bedienung man nicht einmal mehr Noten lesen können musste, bis zu tragbaren Musikwiedergabegeräten wie dem Phonografen – der aus heutiger Sicht pittoreske technische Standard jener Zeit kann auch hier nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Folie der Alltagskultur, die sich im 19. Jahrhundert ausbildete, auch heute durchaus zeitgemäß erscheint.
Aber hat sich denn seither, bei all den technischen Verfeinerungen, denn nicht auch inhaltlich etwas getan? Darüber lässt sich anhand dieser Ausstellung trefflich streiten, der man in ihrer pointierten Durchdachtheit übrigens anmerkt, dass sie durch ein dreijähriges Forschungsprojekt gründlich vorbereitet wurde. Überdies kann sie fast ausschließlich aus dem grandiosen Fundus des Germanischen Nationalmuseums schöpfen, durch den es der Ausstellung nach allen Regeln der Inszenierungskunst gelingt, Teile der eigenen Sammlungen selbst als ein Produkt jener ganz realen Als-Ob-Kultur zu entlarven, die die Weltausstellungen einst mit auf den Weg gebracht haben.