Ausstellung "Besser scheitern" in Ingelheim

Wie Baldessari im Blumenladen einer Pflanze das ABC erklärt

Der Konzeptkünstler John Baldessari
Der Konzeptkünstler John Baldessari © picture alliance / dpa / Valeriy Melnikov
Von Rudolf Schmitz · 17.06.2016
"Besser scheitern" heißt eine Ausstellung mit Kunst im öffentlichen Raum im rheinland-pfälzischen Ingelheim. Ein Blumenladen zeigt John Baldessaris Versuch, einer Topfpflanze das ABC zu erklären. Der von Schlingensief geloopte Treppensturz eine Schauspielers läuft in einer Einkaufspassage.
Ein Streichquartett spielt Ludwig van Beethoven, nach jedem Satz tauschen die vier Musiker die Plätze und die Instrumente. Die hohe Kunst der Harmonie geht dabei zunehmend flöten. Ein Video von Annika Kahrs, gezeigt im Treppenhaus des Sebastian-Münster-Gymnasiums im Rahmen der Ausstellung "Besser scheitern" als Teil der Internationalen Tage in Ingelheim. Leider keine Schüler da, um diese Studie des Scheiterns zu kommentieren, denn es ist später Nachmittag. Aber das Video von John Baldessari, in dem er einer kleinen Topfpflanze das Alphabet beizubringen versucht, findet durchaus Zuschauer. Kein Wunder, denn der Monitor mit dem Schwarz-Weiß-Video steht im Schaufenster eines Blumengeschäfts.
Passantin: "Wir haben uns schon überlegt, ob wir uns mit unseren Kindern davor stellen und das Alphabeth auf Englisch lernen. Schöne Idee, passend zum Blumenladen, mit dem Blumentopf."
Kunst, über die man stolpert. Kunst, die zu den Leuten kommt, ob sie es nun merken oder nicht. Zumeist Videoarbeiten, weil die problemloser unterzubringen sind in den Schaufenstern, in den Einkaufspassagen, in den Schulen oder eben auch im Blumenladen. Brigitte Kölle von der Hamburger Kunsthalle ist die Kuratorin dieses Experiments...
"Das finde ich mal spannend, dass letztlich mal so ganz dumm das auch im Blumengeschäft zu zeigen. Da, wo eigentlich die Pflanzen auch käuflich zu erwerben sind und zu sehen sind. Und Baldessari ist ja selber ein Künstler, der die Dummheit in der Kunst sehr schätzt, also er will gar nicht gescheit sein, sondern er sagt: Man muss versuchen, etwas möglichst dumm zu machen, weil dann daraus auch wieder etwas Neues entsteht."
Aber ist Scheitern, gar das bessere Scheitern, überhaupt ein Thema für die rheinlandpfälzische Kleinstadt Ingelheim?
Passantin: "Boehringer ist der größte Arbeitgeber hier in Ingelheim, und Boehringer geht es sehr gut, von daher geht es Ingelheim gut. Nein, gescheitert wird nicht, erst mal…"

Irritierte Rolltreppenbenutzer

Ist es also ein Tabubruch, in einer prosperierenden Stadt wie Ingelheim vom Scheitern zu sprechen? Und daraus vielleicht sogar ein öffentliches Thema zu machen?
Passantin: "Also es gibt ja sogar, das kommt aus den USA, Poetry-Slam zum Scheitern. Das dann erzählt, dass man gescheitert ist. Aber natürlich gehört dazu, zu dieser Geschichte immer auch die Story, dass man sich wieder aufgerappelt hat. Man darf halt nie liegen bleiben, man muss sich immer wieder aufrappeln, immer weiter machen. Und das wird sogar positiv gesehen, solange man nicht liegen bleibt. Scheitern gehört aber dazu. Das ist normal. Auch Burnout, das ist ja heute kein Tabu mehr."
Das Scheitern ist anscheinend in der Gesellschaft angekommen, aber nicht jedes Werk der insgesamt 14 Künstler funktioniert hier in Ingelheim gleich gut. Ein gelooptes Video von Christoph Schlingensief, das immer wieder den unglücklichen Treppensturz eines Schauspielers während der Probenarbeit zeigt, wird in der Passage eines Einkaufszentrums projiziert. Die Rolltreppenbenutzer sind sichtlich irritiert.
"Da habe ich mich schon gewundert, warum das alle zwei Sekunden wiederholt wird, wo jemand die Treppe runterfällt. / Können Sie sich einen Reim drauf machen, was das ist? / Nee, das habe ich mich auch grad gefragt. Kann ich nicht, nein (lacht)…"
Und so wirken die Kunstinterventionen zum Thema "Besser Scheitern" im kleinen und durchaus zufriedenen Ingelheim doch ziemlich aufgesetzt, reichlich außerirdisch. Selbstquälerische Videos von Marina Abramovic vor einem Friseursalon oder Schlingensiefs Masochismus vorm Rewe – das erzeugt eher Kopfschütteln als Erleuchtung.
Aber wie heißt es so schön im Programmheft: "Die Erfahrung des Scheiterns erweist sich als eine grundsätzliche Fragestellung der Kunstpraxis heute..."
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