Aus den Feuilletons

Wenn das eigene Leben zum Maß aller Dinge wird

Ein Helikopter setzt Bergungsarbeiter an der Unglücksstelle der Germanwings-Maschine in den Alpen ab.
Ein Helikopter setzt Bergungsarbeiter an der Unglücksstelle der Germanwings-Maschine in den Alpen ab. © picture alliance / EPA / Yoan Valat
Von Arno Orzessek  · 31.03.2015
Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine loten die Feuilletons die philosophische Dimension der Katastrophe aus. Die "Welt" schreibt über den Copiloten: "Mit dem eigenen Tod sollte auch das Leben selbst verlöschen und die Welt untergehen".
Sollten Sie auf leichte Unterhaltung aus sein, liebe Hörer, dann wird das heute nichts mit uns.
Schon allein, weil auch in den frischen Feuilletons der Absturz der Germanwings-Maschine nachbebt.
Für die Tageszeitung DIE WELT ist der unerhörte Vorfall "Die Ausnahme", wohingegen die Wochenzeitung DIE ZEIT denselben Fall – zumindest per Überschrift – als "Schrecklich normal" deklariert. Aber der Reihe nach.
Laut WELT-Autor Lucas Wiegelmann zeigt sich ausgerechnet im Moment der Katastrophe,
"dass wir den Glauben an das Gute im Menschen noch nicht aufgegeben haben. (...) Man braucht keinen Flugschein, um in der Lage zu sein, Not und Leid über seine Mitmenschen zu bringen. (...) Die meisten tun es aber nicht. Weil sie spüren, dass alles in die Brüche geht, wenn jeder so anfängt. Was du nicht willst, das man dir tu', das füg auch keinem andern zu: Diese Logik (...) wirkt altmodisch und auf alberne Weise naiv. Die geschockten Reaktionen auf den Flugzeugabsturz zeigen, dass sie dennoch ziemlich mächtig zu sein scheint. Dass wir nicht dulden, wenn sie in Frage gestellt wird. Dass unser Menschenbild vielleicht positiver aussieht, als uns bewusst ist",
mutmaßt Wiegelmann in der WELT.
Eine größere Höhe erreicht der Gedankenflug des ZEIT-Autors Thomas Assheuer:
"Der Pilot wollte nicht nur der eigenen Lebenszeit ein Ende setzen, sondern auch dem Leben vieler Mitmenschen. Mit dem eigenen Tod sollte auch das Leben selbst verlöschen und die Welt untergehen, zumindest ein möglichst großer Teil von ihr. Der Philosoph Hans Blumenberg hat diesen apokalyptischen Narzissmus einmal die wahnhafte Verbindung aus 'Lebenszeit und Weltzeit' genannt, ein ungeheures Verlangen: Wahnhaft macht sich die eigene Lebenszeit zum Maß aller Dinge – sie definiert ihren letzten tödlichen Sinn dadurch, dass nach ihr 'nichts mehr kommen darf'",
paraphrasiert Thomas Assheuer den Philosophen Hans Blumenberg, der übrigens – fügen wir hinzu – den übelsten Lebenszeit-Weltzeit-Wahn dem theatralischen Kaputtmacher und Alles-mit-sich-Reißer Adolf Hitler zugeschrieben hat.
Eine junge Frau mit Kopftuch, die Klägerin, läuft am 24.09.2014 in Erfurt (Thüringen) am Behördenschild mit der Aufschrift "Bundesarbeitsgericht" vorbei.
Das Tragen des Kopftuches gehört zu den am häufigsten diskutierten Symbolen islamischen Glaubens.© picture alliance / dpa / Martin Schutt
Polemik gegen das Kopftuch
Doch zurück in den Alltag der Republik. Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht Lehrerinnen zugebilligt, Kopftuch zu tragen, was der Kopftuch-Gegnerin und Soziologin Necla Kelek in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erwartungsgemäß bitter aufstößt:
"Zwischen den Vertretern des konservativen Islams der Verbände und den unorganisierten säkularen Muslimen besteht Uneinigkeit darüber, ob das Kopftuch tatsächlich der Prophetentradition zuzurechnen oder nur ein Relikt des immer noch herrschenden Patriarchats ist. Das Gericht darf sich in diese Auseinandersetzung nicht einmischen; es sollte den säkularen Staat stärken und die Schwachen, in diesem Fall die Grundrechte von Frauen und Mädchen, schützen",
schreibt Kelek dem Verfassungsgericht vor, was es zu tun und zu lassen hat.
Unsere Reaktion umfasst Kopfschütteln und Stirnrunzeln ...
Sind Menschenrechte eine westliche Idee?
Wobei sich die Runzeln nicht restlos glätten, wenn wir an den Artikel "Das Mark der Moderne" in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG denken.
Andreas Zielcke widerspricht darin der These des Soziologen Hans Joas, die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" von 1948 hätte sich auch aus nicht-westlichen Quellen gespeist.
Für Zielcke bleiben Menschenrechte ein westliche Idee, allerdings eine problematische:
"Der Westen krankt daran, dass er sich nicht an seine Werte hält – und daran, dass er sich (zugleich) an sie hält."
Dieses Paradox – möglicherweise der Knackpunkt des Westens und auch der Menschenrechte als des höchsten westlichen Werts – wäre jede Diskussion wert. Allein, kaum stößt der SZ-Artikel ins Brenzlige vor, neigt er sich rapide dem Ende zu.
Wie auch diese Presseschau.
Karl Lagerfeld posiert am Donnerstag (12.04.2012) in Hamburg nach der Aufzeichnung der ZDF-Talkshow "Markus Lanz". 
Karl Lagerfeld © picture alliance / dpa / Georg Wendt
Religiöse Menschen dürfte es indessen noch interessieren, dass Gott – folgt man der ZEIT – nur mehr die Nr. 2 im Universum ist.
Die Nr. 1 ist nämlich Karl Lagerfeld – laut Susanne Mayer zugleich "Die Quelle aller Zeiten", "Objekt der Anbetung", "Der Alleseinsmacher", "Der Allwissende" und ein "Wundersamer Brotvermehrer". Beten wir also den allerhöchsten Lagerfeld mit den Worten der ZEIT-Überschrift an. Sie lautet: "Mein Gott, Karl!"
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