Aus den Feuilletons

Was haben Photoshop und Botox gemeinsam?

Daniel Craig und Lea Seydoux bei den Dreharbeiten in Sölden.
Der Schönheitswahn habe in Hollywood auch die Männer erreicht, so die "SZ". Daniel Craig und Lea Seydoux bei den Dreharbeiten zum neuen Bond-Film "Spectre". © dpa/picture alliance/Barbara Gindl
Von Hans von Trotha · 01.04.2015
Natürlichkeit sei in Hollywood kein Maßstab mehr, beklagt die "SZ". Die Stars versuchten umgekehrt, sich der digital optimierten Version ihrer selbst mit Schönheitsmitteln und Muskeltraining in der Wirklichkeit anzupassen.
"Was heisst hier Wirklichkeit?" Unter dieser Überschrift lobt Christian Wildhagen in der NZZ Philipp Stölzls Salzburger Inszenierung des Operndoppels "Cavalleria rusticana"und "I Pagliacci". Und stellt damit die Frage des Tages:
"Ungeschönt und wahrhaftig", schreibt Wildhagen, " - so wollten die Komponisten des italienischen Verismo die raue Wirklichkeit auf die Bühne bringen." Lang ist´s her. "Unge-schönt und wahrhaftig" ist heute gar nichts mehr. Von "rauer Wirklichkeit" wollen wir nichts sehen.
Film und Wirklichkeit
Etwa Marylin Monroes Narbe quer über den Bauch. Von ihr und davon, dass diese vor ihrem letzten Shooting nicht überschminkt wurde und danach nicht gephotoshoppt werden konnte, erzählt Susan Vahabzadeh in der SÜDDEUTSCHEN. "Natürlichkeit", schreibt sie, "ist in Hollywood kein Maßstab mehr." Maßstäbe setze jetzt vielmehr der Film "300" von 2006:
"Ein muskelbepackter König Leonidas führt die Spartaner, die glänzen wie aus Plastik, gegen die Perser, alles ist im Blue-Screen-Verfahren gedreht, nur die Schauspieler sind nicht per CGI ins Bild hineinmanipuliert. (...) Die Nachbearbeitung", so Vahabzadeh, "führt dazu, dass die künstlichen Bilder und die Wirklichkeit in Konkurrenz treten– Schauspieler, vor allem Schauspielerinnen, versuchen sich mehr und mehr, der digital optimierten Version ihrer selbst anzugleichen. (...) Botox ist sozusagen die Verlängerung von Photoshop in der Wirklichkeit."
Und, nächste Stufe:
"Der Schönheitswahn hat in Hollywood auch die Männer erreicht. Die müssen (...) sich an absurden Stellen die Haare weglasern lassen und sich Muskeln antrainieren, die die Evolution nicht vorgesehen hat."
"Die Reduktion von Männern zum Sexobjekt ist so verunsichernd wie bei Frauen", findet Vahabzadeh.
Das haben ihre Kollegen von der FAZ noch nicht ganz zu Ende gedacht, wenn sie in einer Kolumne über Ed Milibands Vorschlag, James Bond solle endlich von einer Frau gespielt werden, bei der Pointe landen: "vielleicht könnte sich (...) Daniel Craig mit einer neuen Rolle anfreunden: als Bond-Boy".
Sex und Oper
In der FAZ wird halt noch ein echtes Männerbild gepflegt. "Keine Weicheier in Stahlgewittern", titelt dieselbe Ausgabe. Wer gleich vor Ernst Jünger in Deckung gehen will, mag von der Nachricht beruhigt sein, dass es nur um die Uraufführung der Oper "Penthesilea" von Pascal Dusapin geht. Die ist aber auch nicht ohne.
"Worum es in dieser Oper geht, hat der Regisseur Pierre Audi im Vorgespräch knapp und präzise zusammengefasst: sadomasochistische, fetischistische und voyeuristische Sexualität."
Und, Hand aufs Herz, ist eben die nicht auch der wahre Hintergrund für die visuellen Trugbilder, zu denen sich die Stars in der Semiwirklichkeit von Photoshop und Botox stilisieren?
Kia Vahland macht in der SÜDDEUTSCHEN den Schuldigen für all das aus. Ja, sie hat tatsächlich den Mann, natürlich war es ein Mann, identifiziert, der mit dieser oberflächlich visuellen Lügerei angefangen hat. Er ist derzeit gefragt wie lange nicht. "Dies ist sein Jahr", schreibt Vahland. "Mit Bildpropaganda, Plakatstil und grazilen Frauen prägte er das visuelle Denken in Deutschland". Und:
"Vielleicht wären wir ohne ihn nie die visuell denkende Gesellschaft geworden, die wir sind – oder wir hätten zwar genauso viele Bilder wie heute in allen Medien, aber noch mehrAngst vor ihnen, als dies sowieso schon der Fall ist."
Weiter schreibt Vahland:
"Besonders erfolgreiche Massenware waren und sind (seine) Frauengestalten. Sie alle ähneln einander, sind grazil, oft nackt, aber knochen- und fleischlos, biegsame Kreaturen (...). Und genau diese Charakterlosigkeit machte und macht sie so erfolgreich. (...) Was in Italien beseelte Frauen waren, die man lieben konnte, ist nun die Femme fatale, die man fürchten muss."
Bevor sich nun alle den Kopf zerbrechen, um welchen Fotografen, Modedesigner, Filmregisseur, Werbeprofi oder Titelgestalter es sich handelt, hier die Auflösung in Kia Vahlands Fazit:
"Man muss den Bildermaschinisten Lucas Cranach nicht lieben, um ihn ernst zu nehmen und besser kennenlernen zu wollen. Das ist in diesem Jahr so gut möglich wie selten zuvor. Dem Reformationsjubiläum 1517 geht ein Themenjahr 'Bild und Botschaft' voraus."
Vielleicht folgt dem ja bald ein Themenjahr "Verismus und Wirklichkeit". Und dann eins "Photoshop und Botox."