Aus den Feuilletons

Was die AfD will

AfD-Vorsitzende Frauke Petry geht beim Parteitag in Stuttgart an einer Wand vorbei, auf die projiziert ist
AfD-Vorsitzende Frauke Petry beim Parteitag in Stuttgart © dpa/picture alliance/Marijan Murat
Von Arno Orzessek · 07.05.2016
Die Kulturpresseschau schaut in ihrem Wochenrückblick auf die Analyse des Stuttgarter Parteitags der Alternative für Deutschland (AfD). Gustav Seibt stellt in der "Süddeutschen Zeitung" fest: "Ihr weltanschaulicher Kern ist ein radikaler Antiliberalismus mit völkischen Beigeschmack."
Liebhaber des politischen Feuilletons kamen in der vergangenen Woche voll auf ihre Kosten ... Was auch am Stuttgarter Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) lag.
Unter dem Titel "Sprengstoff" erläuterte Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG das neue AfD-Grundsatzprogramm, das die Abwicklung des Euro genauso fordert wie das Ende der Gender-Forschung und das Verbot von Minaretten.

"Ein radikaler Antiliberalismus"

Vom bunten Allerlei ließ sich Seibt den Blick indessen nicht trüben, sondern hielt kategorisch fest:
"Die AfD mag im Einzelnen dieses und jenes wollen – ihr weltanschaulicher Kern ist ein radikaler Antiliberalismus mit völkischen Beigeschmack."
Die Selbsttitulierung der AfD als "liberal" und "konservativ" nahm in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Jürgen Kaube aufs Korn.
"Was den Konservatismus angeht, so bezieht dieser sich bei der AfD nicht auf Reserven gegen Technik und Steuerung. Wenn von dem erhaltenswerten Deutschland gesprochen wird, sind 'tempo-offene' Autobahnen, Atommüllendlager und die Abschaffung des Naturschutzes inbegriffen. Gefährdet wird die Heimat offenbar vor allem von Einwanderern, Gewerbesteuern, englischsprachigen Studiengängen und Windrädern. Die Rückabwicklung all dessen, was als '68er-Deutschland' bezeichnet wird, wird offenbar für eine reine Frage des politischen Willens gehalten. Ein ziemlicher Steuerungsoptimismus für Liberalkonservative",
spottete Jürgen Kaube in der FAZ.
In der TAGESZEITUNG wurde indessen erklärt, was Linke und Konservative heutzutage überhaupt unterscheidet.
"Die Linke legitimiert sich gewissermaßen aus der goldenen Zukunft, die sie verheißt, der Konservative findet die Welt problematisch genug und möchte sie nicht durch immer neue Experimente noch problematischer machen. [ ... ] Wenn ich sage, ich bin konservativ, bedeutet das nicht, dass ich das altägyptische Bewässerungssystem wiederhaben möchte, sondern dass ich gegen die permanente Abserviererei aller Traditionsbestände [ ... ] bin. Und dass ich meine, dass bislang und wohl noch einige Zeit nur der Nationalstaat Recht garantieren kann."
Falls Sie, liebe Hörer, erstaunlich finden, wie staatstragend die linke TAZ geworden ist:
Wir haben soeben nicht die TAZ in Person eines ihrer Haus-Autoren zitiert, sondern den TAZ-Gesprächspartner Michael Klonovsky. Und Klonovsky ist der neue "publizistische Berater" von AfD-Chefin Frauke Petry.
Aber üben wir uns noch ein bisschen in rechts-links Unterscheidungen ...
Die Preisfrage lautet: Stammt auch folgendes Zitat von Klonovsky?
"Ebenso wie an der Euro-Rettung lässt sich [ ... ] an der Flüchtlingspolitik die zerstörerische Dynamik des neudeutschen Sonderweges illustrieren. Das beginnt mit der Befremdlichkeit der deutschen 'Willkommenskultur' nahezu überall außerhalb Deutschlands [ ... ]. Gesteigert wird sie durch eine von außen als unheimlich wahrgenommene nationale Konsenskultur, die die konformistische Hinnahme auch erstaunlichster Behauptungen kollektiv obligatorisch macht. So ist in Deutschland zum Beispiel zu glauben oder doch zu bekennen, [ ... ] dass es bei der Aufnahme von Migranten keine 'Obergrenze' geben darf; dass die gemeinsam mit dem türkischen Möchtegern-Diktator ergriffenen Maßnahmen zur Beendigung des Flüchtlingsstroms hierzu nicht im Widerspruch stehen" ...
Und so weiter.
Nun, es war der Soziologe und Kapitalismuskritiker Wolfgang Streeck, der sich in der FAZ unter der Überschrift "Merkels neue Kleider" so geäußert hat.
Streeck war lange SPD-Mitglied; er verließ die Partei aus Prostest gegen den Nicht-Ausschluss von Thilo Sarrazin, den viele für rechtspopulistisch halten.
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG hielt Lucien Scherrer derweil ein "Plädoyer für die Menschenfeinde" ...
Und warum? Weil der NZZ-Autor unterstellt, der Soziologe Wilhelm Heitmeyer und die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) – die man getrost als links bezeichnen darf –, würfen mit dem Menschenfeind-Begriff nur so um sich.
"In FES-Studien offenbaren sich nicht nur Antisemiten, Rassisten oder rechts-extreme Gewalttäter als Menschenfeinde, sondern alle, welche die Meinung der Autoren nicht teilen, wonach traditionelle Rollenbilder menschverachtend, Einwanderer per se eine Bereicherung oder bestimmte Religionen genuin tolerant sind. Wer etwa dem Urteil zustimmt, dass der Islam 'eine Religion der Intoleranz' sei, ist ein Menschenfeind. Gleiches gilt für alle, die Aussagen unterschreiben wie: 'Frauen sollten ihre Rolle als Hausfrau und Mutter ernster nehmen.'"

Die vielen Menschenfeinde

So der NZZ-Autor Scherrer, der sich an den vielen Menschenfeinden störte, die von Wilhelm Heitmeyer und der Friedrich-Ebert-Stiftung gebrandmarkt werden.
Okay! Da die NZZ-Botschaft dann doch klar gegen links gerichtet war, hier zum Ausgleich ein Statement von Thomas Assheuer, der sich in der Wochenzeitung DIE ZEIT gegen rechte Parteien und deren Interesse an nationaler Kultur richtete.
"Die obsessive Betonung der Kultur ist Teil einer Re-Nationalisierung, einer wütenden Abwehr von allem, was auch nur entfernt an die verhasste Globalisierung erinnert, an den Westen und die 'Anglo-Welt'. Rechtes Denken ist Raumdenken. Es setzt die konkrete nationale Kultur gegen die bedrohlich abstrakte Weltgesellschaft, gegen Massenmigration, Großkapital und islamistischen Terror. Deutschland, so war auf dem Stuttgarter AfD-Parteitag zu hören, sei ein 'Weltkulturerbe', das gegen 'Weltgemeinschaft und Weltstaat' verteidigt werden müsse."
So Thomas Assheuer in der ZEIT.
Womit wir, Stichwort AfD, zurück am Anfang wären – aber auch am Ende, liebe Hörer.
Wenn Sie als Freund der Künste denken: Das war heute aber keine Kulturpresseschau, das war ein Politikseminar ...
Dann mag Ihr Urteil über uns in folgender SZ-Überschrift zum Ausdruck kommen.
"Nicht ganz dicht."
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