Aus den Feuilletons

Warum der junge Film so viel Reizwäsche zeigt

Frauenbeie in Netzstrümpfen auf einem Bett
Aufreizende Bilder als Ersatzhandlung? Christian Petzold sagt: "In den Filmhochschulen gibt es keine Liebe." © imago/Joana Kruse
Von Gregor Sander · 23.06.2016
Der deutsche Regisseur Christian Petzold beschreibt in der "SZ" das Leben seiner jungen Kollegen an Filmhochschulen als ziemlich bieder. Dass in ihren Filmen viel provoziert werde, sei vermutlich eine Ersatzhandlung, mutmaßt er großväterlich.
Christian Petzold wird beim Filmfest München mit einer Retrospektive geehrt und der 55-Jährige ist sich seiner Bedeutung ganz praktisch bewusst, wie in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu lesen ist.
"Glücklicherweise habe ich mittlerweile einen Status, der mir gewisse Freiheiten erlaubt. Ich habe zum Beispiel das letzte Wort beim Schnitt, das ist Luxus. Das Problem im TV ist, dass immer mehr an der Kreativität gespart wird: kleinere Budgets, kürzere Drehzeiten."
Trotzdem hat Petzold nun einen zweiten Polizeiruf gedreht, der im Herbst im Fernsehen zu sehen ist, und er bekennt, was ihn fasziniert an der ewigen Mördersuche:
"Die Kommissare in Krimis sind Türöffner, die uns in eine Welt führen können, die wir ohne sie nicht kennenlernen würden. In andere soziale Milieus, die sonst verschlossen bleiben."

"In Filmhochschulen gibt es keine Zigaretten"

Aber nicht alle Antworten Petzolds in der SZ sind so druckreif wie diese. Richtig lustig wird es wenn er über die jüngste Generation Filmemacher spricht:
"In den Filmhochschulen gibt es keine Liebe und keine Zigaretten, was wohl der Grund ist, dass in den Filmen wie irre geraucht wird und alle Mädchen Strapse tragen. Ist vielleicht eine Ersatzhandlung."
Das klingt natürlich schon sehr großväterlich vom inzwischen E-Zigarette rauchenden Christian Petzold. Auf die Frage ob er sich denn seine eigenen alten Filme auf dem Filmfest angucken wird, antwortet er dann wieder erfrischend:
"Nee, das geht irgendwie nicht."
Und:
"Außerdem mag ich ja jetzt auch EM schauen und nicht die ganze Zeit im Kino sitzen."

"Fußballer lesen Rilke"

Damit ist er natürlich nicht allein, auch wenn der Ball in Frankreich ja gerade ruht. Im Aufmacher der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG beklagt Marc Zitzmann die heutigen Zustände:
"Fußballer lesen Rilke, sammeln zeitgenössische Gemälde und spielen in Autorenfilmen mit; Künstler, Dichter und Denker haben den beliebtesten Volkssport als vollgültiges Thema für sich entdeckt."
Auch wenn einem nicht sofort ein Rilke lesender Fußballer einfällt und die Frage in der Tiefe des Raumes steht, ob viele Balltreter nicht immer noch nur ihre Kontoauszüge lesen, folgen wir Zitzmann in seiner Früher-war-alles-einfacher-Polemik
"Die Welt schied sich in Kunstfreunde und Fußballfans: in zarte Seelen und rohe Rüpel, kluge Köpfe und vulgäre Wampen, stille Träumer und Couch-Krakeeler."

"Die Hölle wird los sein in Bratislava"

Wie schnell aus einem Couch-Krakeeler ein Couch-Krekeler wird sieht man in der Tageszeitung DIE WELT. Dort hat der Literaturkritiker Elmar Krekeler eine wöchentliche Krimi-Kolumne und die beginnt er diese Woche so:
"Die Hölle wird los sein in Bratislava am Sonntag, wenn die Slowaken die Deutschen aus dem Turnier geworfen haben. Menschen werden sich gegenseitig Irokesen auf den Kopf schneiden lassen, damit sie aussehen wie Marek Hamsik, der teuflische slowakische Mittelfeldgott."
Eigentlich bespricht Krekeler einen Krimi des Slowaken Michal Hvorecky, aber durch den vielen Fußball gerät eben alles durcheinander. Also gehen wir lieber ins Theater. In die Berliner Volksbühne, wo Herbert Fritsch nicht weniger als die Offenbarung des Johannes inszeniert hat.

"Ohne Fritsch und Pollesch gibt es eine Implosion"

Aber die Kritiker können im Moment nicht nur einfach das Theaterstück besprechen. Jedenfalls nicht in der Volksbühne. Und so orakelt Rüdiger Schaper im Berliner TAGESSPIEGEL:
"Was immer der Castorf-Nachfolger Chris Dercon vorhat, ohne Fritsch und Pollesch und ihre erfahrenen Schauspieler gibt es eine Implosion. Oder Apokalypse."
So heißt übrigens das Fritsch-Stück: Apokalypse, und Peter Laudenbach beschreibt die Verwandlung eines Schauspielers in den biblischen Johannes in der SZ so:
"Wolfram Koch spielt diesen Entertainer des Grauens als gekonnte Mischung aus Catweasel, irrem Seher und Vaudeville-Clown. Er tänzelt durch die Albtraumszenarien, von denen er erzählt, und kommentiert sie ab und zu mit ironisch verspielten Gesten. Zu den Erdbeben, die die Welt in Trümmer legen, führt er einen kleinen Zuck-und-Wackel-Tanz auf."
Offensichtlich ein Fritsch-Abend vom Feinsten. Oder wie die SZ titelt:
"Apokalypse Wow."