Aus den Feuilletons

Peinlich begeistert von der Elbphilharmonie

Das Konzertgebäude der Elbphilharmonie ist in Hamburg an der Elbe zu sehen.
Die Hamburger Elbphilharmonie sollte eigentlich schon 2010 eröffnet werden. Nun wird es - vermutlich - 2017. © dpa/ picture-alliance/ Markus Scholz
Von Paul Stänner · 27.06.2016
Bud Spencer, Götz George, Manfred Deix - bei all den Todesmeldungen freut sich unser Autor über Positives aus der "taz": Kurz vor Fertigstellung beschreiben selbst ihre schärfsten Kritiker die Elbphilharmonie nun als "betörend schön".
Der Blick in die Feuilletons vom Dienstag findet als erstes einen Text von Navid Kermani, der sich – während alle Welt noch über den vollzogenen Brexit wettert – der Zukunft zuwendet. "Auf Kosten unserer Kinder" ist sein Artikel in der FAZ überschrieben, wo er zugibt, dass ihn die Furcht beschleiche, dass "unsere Generation der heute Vierzig-, Fünfzig- Sechzigjährigen das große, ja historisch kaum glaubliche Geschenk der europäischen Einigung verspielt und unseren Kindern einen Kontinent hinterlässt, auf dem der Nationalismus fröhliche Urständ feiert."
Als großes Manko empfindet er, dass die europäische Union es nie geschafft hat, sich auf demokratischer Basis zu legitimieren. Gerade die Bundesrepublik verdanke Staatsmännern wie Adenauer, Brandt und Kohl viel, weil diese sich zu ihrer Zeit oft über den Zeitgeist hinweggesetzt hätten.
Aber wenn ihre Visionen, schreibt Kermani, "nicht nachholend, in der pragmatischen, klugen Anwendung die mehrheitliche Zustimmung gewonnen hätten, wären weder die Westbindung noch die europäische Aussöhnung von Dauer gewesen." Und dieses Einholen der mehrheitlichen Zustimmung vermisst er für das Europa, in das seine 17-jährige Tochter hineinwächst.

Götz George suchte die Widersprüche

"#GötzGeorge Scheisse, tut das weh" – twitterte Veronica Ferres am Sonntagabend. So erzählt es die BERLINER ZEITUNG. Frank Olbert erklärt gleich, warum die robuste Traueranzeige in diesem Fall angemessen sei, schließlich habe George in seiner Rolle als Schimanski "so oft mit Fäkalausdrücken um sich werfen" dürfen, dass Ferres Kurznachricht ein "angemessener Nachruf" sei.
Über George selbst schreibt er:
"Er ließ Widersprüche zu, ja, er suchte sie geradezu. Das machte einen Großteil seiner Wirkung aus… seine Ambivalenzen machten Georges Spiel wahrhaftig."

"Deixfigur" schaffte es in den Duden

Den Tod eines "Fiesanthropen" vermeldet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Der Karikaturist Manfred Deix ist gestorben, ein Künstler, der – wie die Feuilletons nict müde werden zu zitieren – nur arbeitete, zeichnete, rauchte, soff. Nun ist auch er tot. Cathrin Kahlweit zählt Deix' böse Figuren auf, die: "glubschäugigen, spitznasigen, mit zu viel Zahnfleisch, dicken Hintern und Hängebusen ausgestatteten Alltagsfiguren,… Priester mit steifen Phalli, Manager mit Arschgesichtern, Politiker im Neonazi-Look."
Da erscheint unvermeidlich, dass der Duden den Begriff "Deixfigur" aufgenommen hat als "ins Lächerliche verzerrte Darstellung eines Menschen" – und der war, schreibt Hannes Hintermeier in der FAZ, zumeist ein Österreicher. Deix habe das "österreichische Antlitz" erkunden wollen:
"Nur, dass Deix dieses Antlitz in den unteren Regionen des Körpers lokalisierte, in den Feuchtgebieten und zwischen den Fettringen, in gelb-braunen Unterhosen und Furunkeln…"
Und wir haben jetzt einen ausreichenden Eindruck und greifen zur taz. Dort schreibt Ralf Leonhard, Deix habe sein Leben lang einen sehr kritischen Blick gehabt, was das Aussehen der Menschen betreffe:
"Aber weil er sich selbst nicht ausnahm – übergewichtig und mit ungepflegten Haaren war Deix selbst eine Deixfigur – blieb er glaubwürdig."
Damit Ihnen der Blick in die Feuilletons nicht gänzlich verleidet wird, hier noch eine gute Nachricht zum Schluss: In der Nord-Ausgabe der taz empfindet Petra Schellen die ihrer Vollendung entgegenstrebende, sauteure Elbphilharmonie als "betörend schön" und schwärmt:
"Oft hat man sich gewünscht, dass das Ding bei Nacht und Nebel einstürzen möge. Oder Subkultur-Brache oder ein Parkhaus wird. Und dann betritt man den Bau kurz vor Fertigstellung des Großen Konzertsaals, stapft durch Matsch, Staub, Kabelsalat – und ist so begeistert, dass es schon peinlich ist."
Na bitte – da ist es ja, das Positive!
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