Aus den Feuilletons

Pastorale Eiskübel und andere Melodramen

"Ice Bucket Challenge" beim "Wort zum Sonntag" Kaplan Florian Heisterkamp greift zum eisgefüllten Eimer und übergießt Pfarrer Gereon Alter (re.).
"Ice Bucket Challenge" beim "Wort zum Sonntag" Kaplan Florian Heisterkamp greift zum eisgefüllten Eimer und übergießt Pfarrer Gereon Alter (re.). © © WDR/Bistum-Essen/Nicole Cronauge
Von Tobias Wenzel · 31.08.2014
Beim "Wort zum Tage" lässt sich ein deutscher Pastor mit einem Eimer Eiswürfel begießen, während in Venedig Fatih Akin mit seinem neuen Film die Kritikerherzen wahlweise anrührt oder anwidert. Unser Blick in die Feuilletons.
"Cem Özdemir nutzt seine Ice-Bucket-Challenge für ein 'sanftes politisches Statement' und begießt auch seine Hanfpflanze. Das wird sicher nicht zu Stimmverlust führen, oder?", fragt die TAZ Friedrich Küppersbusch. Seine Antwort:
"Der könnte sich mit sehr vielen Pflänzchen fotografieren lassen und man würde immer noch denken: 'Hey, das ist doch der, der Waffen statt Yogamatten gefordert hat.' Da sieht man mal wieder, wohin die Kifferei führen kann."
Nicht nur Cem Özdemir ist es gelungen, Marihuana und die "Ice Bucket Challenge" zusammenzubringen, auch der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, und zwar auf ihrer Medienseite. Da berichtet Kathrin Werner über das 40-jährige Bestehen von "High Times", dem "Fachblatt der US-Kifferszene". Und direkt darunter schreibt ein Autor mit dem Kürzel "RN" darüber, was er am Samstag im Ersten sah, nämlich das "Wort zum Sonntag":
"Am Ende trat ein zweiter Mann in Schwarz hinzu, er hatte etwas Messdienerhaftes. Er hob einen blauen Kübel in die Höhe, der mit eiskaltem Wasser gefüllt war, und schüttete es über das Haupt von Gereon Alter, 47. Während nun Alter einen kurzen und sehr damenhaften Kreischlaut von sich gab, lächelte der Vollstecker neben ihm wie nach einer gelesenen Messe."
Gereon Alter, der Pfarrer, habe danach gesagt:
"Ich glaube, Jesus hätte das gefallen."
An Fatih Akin scheiden sich die Geister
Von Jesus zu Fatih Akin, lieber ohne Überleitung. "'The Cut' hat viele Schnittstellen mit zahlreichen Lesarten", schreibt Dietmar Dath sichtlich angetan in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über Fatih Akins Wettbewerbsbeitrag bei den Filmfestspielen von Venedig, in dem der Armenier Nazaret 1915 dem Genozid entkommt und dann seine Töchter sucht.
"Man hatte geglaubt: Fatih Akin, das ist ein filmischer Stil. Jetzt erkennt man: Nein, das ist ein Kosmos."
Daniel Kothenschulte hat mit "The Cut" eine "berührende filmhistorische Reiseerzählung" gesehen. Zwar habe Akins Film auch seine Unebenheiten, schreibt der Kritiker in der WELT, aber als Enttäuschung sei er in Venedig nun wirklich nicht empfunden worden.
Da hat Kothenschulte wohl die Mienen einiger Filmkritikerkollegen ordentlich missinterpretiert. "Gescheitert" lautet Susanne Ostwalds Überschrift zu ihrer Kritik in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
"Was Akin versucht, ist großes zeitgeschichtliches Gefühlskino im Stile von 'Gone With the Wind', doch fehlt ihm dazu das kinematografische Format."
Christiane Peitz kritisiert im TAGESSPIEGEL, Akin habe den Massenmord an den Armeniern "arrangiert", den "Terror ins Melodram" eingebettet und ihn so "erträglich, sandfarben, fast pittoresk" gemacht. Akin sei der wohl "größte Melodramatiker des deutschen Kinos", aber genau das sei das Problem, schreibt Peitz weiter, um dann zu seufzen:
"Allein die vielen Gutmenschen, die Nazarets Odyssee säumen."
"Wenn er zu Beginn in dem Idyll, das der Katastrophe vorausgeht, seine Kinder liebkost, so tut er das auf dem Niveau einer Vorabendserie", zeigt sich auch Thomas Steinfeld in der SZ enttäuscht, ebenso wie Cristina Nord in der TAZ:
"Es mag sein, dass Akin mit diesem Film in politischer Hinsicht Beachtliches wagt (in der Türkei sind Todesdrohungen gegen ihn laut geworden), in ästhetischer Hinsicht wagt er nichts [...]"
Gutes Wetter zu Beginn des Zweiten Weltkriegs
"Das Wetter soll an diesem 1. September in Berlin überaus sonnig und warm gewesen sein", bemerkt Christian Schröder zum Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren, im Zeitzeugengespräch mit Egon Bahr für den TAGESSPIEGEL.
"Eigentlich Friedensklima, oder?"
"Ich weiß noch genau, wie erstaunt ich war", antwortet Egon Bahr.
"Die Leute saßen in den Konditoreien, vor Cafés oder in Biergärten, fraßen Torten, vergnügten sich abends im Theater, in den Kinos oder Konzerten. Aber ich hatte gedacht, wenn der Krieg beginnt, kommen feindliche Flieger und es passiert Schreckliches. Von dem Abdunkeln der Fenster abgesehen, passierte überhaupt nichts Schreckliches. So hatte ich mir Krieg nicht vorgestellt. Das Leben ging einfach weiter."