Aus den Feuilletons

Nordkoreanische Verhältnisse bei der SPD?

Martin Schulz auf dem SPD-Parteitag am 19. März 2017 in Berlin.
Vorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD: Martin Schulz freut sich über sein Ergebnis. © AFP / John MacDougall
Von Hans von Trotha · 20.03.2017
100 Prozent Zustimmung für Martin Schulz: Das rieche nach Nordkorea, lesen wir in der "Taz". Bei der Kür des neuen SPD-Vorsitzenden mutierten Journalisten zu Groupies, schreibt die "FAZ" – besonders auf Twitter hätten sich die "Cheerleader" versammelt.
Kaum hat einer mal 100 Prozent, drehen sie alle am Rad. In der FAZ geißelt Michael Hanfeld "die Gefühlspolitik von Martin Schulz", in der TAZ Uli Hannemann das Verhältnis zwischen "Messias" und "Presse", und Jürgen Kaube seufzt "Ach Martin", meint das aber ganz anders. Davor fragt Dietmar Dath, auch in der FAZ: "Wie stabil sind die reichen Gesellschaften?"
Nicht, dass er das wüsste. Aber er hat eine Menge zu erzählen. Er sieht "Gruppenrempelei überall: Großbritannien verlässt die Europäische Union, Schottland droht damit, im Gegenzug Großbritannien zu verlassen, ein Funktionär des Erdogan-Regimes verheißt dem Kontinent Religionskriege, während in der Zeitschrift 'The New Republic' ein Linksliberaler namens Kevin Baker vorschlägt, statt Protesten gegen Trump doch einfach die Vereinigten Staaten aufzugeben."

Journalisten als Groupies

So stabil also sind die reichen Gesellschaften. Und dann kommt der Martin. Erst einmal der ohne "Ach". Michael Hanfeld sieht schon Trumpsche Verhältnisse bei uns:
"Anlässlich der Schulz-Festspiele der SPD", ätzt er, "die am Sonntag in einem schon als 'Krönungsmesse' apostrophierten Parteitagsaufzug mündeten, mit hundertprozentiger Zustimmung zum neuen Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten, kann man sehen, wie auch Journalisten zu Groupies mutieren. Besonders bei Twitter versammeln sich die Cheerleader und machen 'ah' und 'oh', dass einem Hören und Sehen vergehen kann. Zur Stimmungsmache eignet sich das Netz ganz ausgezeichnet, das weiß nicht nur Donald Trump."
Und:
"Martin Schulz ist volkstümlich und clever, er kann Pathos ... und Populismus. ... Er ist so gut wie die Leute hinter ihm sind. Er ist ein Gefäß, das im Augenblick mit Wahlkampfparolen gefüllt ist, zu hundert Prozent."
Was ist der richtige Prozentsatz? Wie gesagt, mit den 100 Prozent kommen sie irgendwie nicht zurande. Uli Hannemann meint:
"Schulz ist mit 100 Prozent der Stimmen Parteichef geworden – das riecht nach Nordkorea. 80 gelten aber gern mal als Abstrafung. Was ist den Journalisten recht?", fragt er in der TAZ: "Welcher Prozentsatz wäre der Journaille denn nun bitteschön ... genehm? Damals", überrascht Hannemann seine TAZ-Leser:
"in der Axel-Springer-Journalistenschule lernten wir: Ein Journalist gibt sich nie zufrieden, auf keinen Fall, niemals, mit nichts. Wer diesen Grundsatz vergaß, musste ihn hundertmal in Schönschrift schreiben, beim zweiten Mal gab es den Stock, und wer ihn ein drittes Mal vergaß, wurde achtkantig rausgeschmissen. Wie gut, dass ich das Institut gar nicht besuchte, so ersparte ich mir diese Schmach."
Und er ordnet die 100 Prozent Schulz historisch ein:
"Der SPD-Vorsitzende mit dem bis dato besten Resultat, Kurt Schumacher, erreichte 1948 99,71 Prozent, aber gut, damals lebten ja auch nicht mehr viele. Bevölkerungsinflationsbereinigt wären das für Schulz umgerechnet 120 Prozent gewesen. Kein Wunder also, dass die wundersame Wandlung des Würseleners vom Messi zum Messias die vierte Gewalt mit Argwohn erfüllt.
Doch es wäre nicht unsere Welt, ginge es nicht auch noch besser: Chuck Norris bekommt auf dem Parteitag der Piraten 100 Prozent, obwohl er gar nicht da ist. Da muss selbst einer wie Martin Schulz erst mal hinkommen."

Luther zwischen Jesus und Schulz

Jetzt darf Jürgen Kaube endlich "Ach, Martin!", seufzen, und wie man schon denken möchte: ach der nun auch noch, wird schnell klar, dass er den anderen Martin meint, also sozusagen die Figur zwischen Schulz und Jesus: Martin Luther.
"Wir wollen ein großes Fest feiern",
schreibt Kaube. Das könnte auch noch Schulz sein. "Was wollt ihr denn feiern?", fragt Kaube und antwortet selbst: "Wir wollen Martin Luther feiern."
Da ist Schulz natürlich raus. Kaube aber erstaunlicherweise auch: "Wie", schreibt er, "den alten Grobian, den Kirchenspalter und ... Judenbeschimpfer ..., den wollt ihr ernsthaft feiern? Nein, den doch nicht", beschwichtigt Jürgen Kaube Jürgen Kaube:"Feiern wollen wir den Bibelübersetzer und Hochdeutschbringer", und so weiter. Irgendwann reicht´s einem von den beiden Kaubes und er schleudert den Unbedingt-Luther-Feiern-Wollern entgegen:
"Wäre es nicht besser, mal ganz ehrlich, ihr würdet irgendetwas Jüngeres ... feiern, euch selbst zum Beispiel? Gegenfrage: Wieso meckern Sie eigentlich dauernd über unsere Feier"? – "Ja dann, Spaßbremsen", so das Kaube-Fazit, "dann eben ohne euch, dann feiern wir eben mit dem Papst."
Oder gleich mit dem Schulz. Dann könnte immerhin die Überschrift "Ach Martin!" bleiben.
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