Aus den Feuilletons

Nicht abseits stehen

Die Kinder im Gaza-Streifen haben unter der Gewalt zwischen Israel und der Hamas am meisten zu leiden.
Die Kinder im Gaza-Streifen haben unter der Gewalt zwischen Israel und der Hamas am meisten zu leiden. © dpa / picture alliance
Von Adelheid Wedel · 18.07.2014
Die deutsche Schriftstellerin Sarah Stricker lebt in Tel Aviv und schildert in der "Süddeutschen" die Auswirkungen der Gewaltspirale auf ihren Alltag. Was "Widerstand" 1944 bedeutete und wie der Begriff heute zu übersetzen ist, wird auch in den Feuilletons erklärt.
"Nicht das richtige Wetter für einen Krieg" heißt eine Überschrift in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Ist das sarkastisch gemeint oder verniedlicht es den Ernst der Lage? Die Zeitung druckt unter diesem Titel Ausschnitte aus dem Tagebuch der Schriftstellerin Sarah Stricker. Die 1980 in Speyer Geborene lebt seit fast fünf Jahren in Tel Aviv. 2013 erschien bei Eichborn ihr Roman "Fünf Kopeken". Mit ihren Beobachtungen des Alltags in Israel will sie unser Verständnis für die Problematik im Nahen Osten wecken und schildert die Auswirkungen der blutigen Gewaltspirale. Was um sie herum geschieht, schreibt sie auf, bleibt dabei aber zumeist an der Oberfläche. Da teilt ihr der Freund per SMS mit, dass es wohl zu spät wird für ein Essen im Restaurant, er stecke noch im Bunker. Ein anderer Freund simst: "Mach dich bereit, es könnte Krieg geben." Die Autorin reagiert: Ich springe schnell unter die Dusche, damit mich der Krieg nicht völlig verschwitzt erwischt. Man erfährt aus ihren Notizen etwas über Gerüchte, die in Israel verbreitet werden, beispielsweise, dass die Araber scharenweise durch die Straßen zögen und versuchten, Kinder zu entführen. Und wie geht es den Palästinensern? "Kein Mensch in diesem Land redet über die Palästinenser", sagt einer ihrer israelischen Freunde. Sarah Stricker kann in diesen Tagen des allgegenwärtigen Bombenalarms über Tel Aviv kaum schlafen, sie schaut sich die Fußball-WM an und schreibt: "Ich schäme mich, dass es mir Spaß macht."
An die Frauen im Widerstand gegen Hitler erinnert Barbara Möller in der Tageszeitung DIE WELT mit ihrer Rezension von Frauke Geykens Buch "Wir standen nicht abseits". "Über die Männer des Widerstands weiß man inzwischen alles. Die Frauen wurden nur als 'Frauen ihrer Männer' wahrgenommen. Sie selbst haben nach Kriegsende nicht versucht, dieses Klischee zu entkräften. Sie führten den Kampf um die Rehabilitierung ihrer hingerichteten Männer, die bis 1952 als rechtmäßig verurteilte 'Hochverräter' galten. Marie Louise von Scheliha beispielsweise musste bis 1995 warten, bis das Urteil gegen ihren Mann, den die Nazis 1942 in Plötzensee gehenkt hatten, aufgehoben wurde."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hebt Heribert Prantl als Lehre vom 20. Juli 1944 den Grundgesetzartikel 20 Absatz 4 hervor, den er kurz als Widerstands-Artikel bezeichnet. Er sei Mahnung, Appell und "er ist auch Aufforderung, nicht so lange zu warten, bis andere Abhilfen nicht mehr möglich sind, wenn die Demokratie in Gefahr gerät." Der Widerstandsartikel sei "auch eine Werbung für den kleinen, für den gewaltlosen Widerstand." Widerstand in der Demokratie heißt "Widerspruch, Zivilcourage, er heißt aufrechter Gang, er heißt Edward Snowden oder Kirchenasyl oder Stuttgart 21, er heißt Cap Anamur, Greenpeace, Pro Asyl und Occupy. Er besteht in der Demaskierung von Übelständen." So ist es Widerstand, wenn Menschen heute davor warnen, "dass den Staaten und der Demokratie die Macht aus den Händen rinnt und sich in der Wirtschaft zusammenballt." Prantl macht deutlich, dass Widerstand in der Demokratie "nicht Kopf und Kragen kostet wie in der Diktatur," aber, so fügt er hinzu, "ganz billig ist er auch nicht, wie vor allem Whistleblower wissen."
Wer sich genauer dafür interessiert, welche Rede auf dem Geburtstagsempfang für Angela Merkel gehalten wurde, wird in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fündig. Das Blatt druckt eine gekürzte Fassung der Rede des Historikers Jürgen Osterhammel und stellt sie unter die Überschrift "Welche Vergangenheit lässt uns die Gegenwart verstehen?" Der Historiker geht von der Erkenntnis aus: "Die Vergangenheit stellt sich paradox dar. Die Gewissheit ist ins Wanken geraten, es gebe einen einzigen Hauptstrom der Geschichte: eine Geschichte der Modernisierung, der Zivilisierung, der wohlmeinenden Hegemonie des Westens." Dies habe sich als Illusion erwiesen. "Es werden auch schon Weltgeschichten aus islamischer oder buddhistischer Sicht entworfen."