Aus den Feuilletons

Lebendige und feinfühlige Portraits

Blick in die Ausstellung "Die Lutherporträts der Cranach-Werkstatt" auf der Wartburg in Eisenach (Thüringen)
Blick in die Ausstellung "Die Lutherporträts der Cranach-Werkstatt" auf der Wartburg in Eisenach (Thüringen) © dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert
Von Ulrike Timm · 02.07.2015
In Wittenberg ist derzeit die große Ausstellung "Lucas Cranach der Jüngere - Entdeckung eines Meisters" zu sehen. Die "SZ" illustriert in einem Artikel diese Ausstellung sehr anschaulich. Ansonsten lesen wir lechzend von einem neuen Bier für das linke Lager.
"Die schaffen selbst das Wetter für sich zu gewinnen. Pünktlich zur Durstwelle bringt die taz zum Afterworkdate ihr eigenes Bier auf den Markt."
Das lesen wir, durchaus lechzend, in der BERLINER ZEITUNG. Bis zu diesen Zeilen hatte die Pressebeschauerin sich nicht groß was dabei gedacht, warum die Feuilletonseiten der "taz" heute partout nicht bei ihr anlanden, jetzt tippt sie auf ausgiebige Hopfen & Malzprobe bei den Kollegen ...
Mit Anerkennung für die Geschäftsideen der ewig klammen TAZ sieht die BERLINER ZEITUNG sich im Webshop der Konkurrenz um und zeigt sich beeindruckt von Brennesselextrakt gegen Blattläuse und Meisenknödelschutz, es ist eben Gartenzeit.
Aber das spezielle "taz"-Bier, basisdemokratisch gekürt und mit einem Spruch versehen -
"Rotes Lager für das linke Lager!"
- dieses Bier ist doch der Clou, besonders bei der derzeitigen Wetterlage. Möge das hedonistische
"Soli-Sauf-Produkt"
also die Genossenschaftszeitung finanziell stützen und mögen die Kollegen morgen wieder so weit beieinander sein, dass Sie uns auch ihre Feuilletonseiten vorab schicken, danke! Es ist Sommer, und die kulturelle Ereignislage übersichtlich!
Sommerliche Restaurantkritik
Das nützt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, um mal einem Genre Raum zu geben, das dort sonst eher nicht vorkommt, der Restaurantkritik nämlich. Und so lesen wir denn staunend, fasziniert und bisweilen auch befremdet vom
"ausgebackenen Kalbskopf mit Schnecken, warmer Vinaigrette aus Rindernacken, Spargel, confierten Tomaten und Sauce Tartar ... Die Kalbskopfkroketten zeigen Spuren der typischen Masken-Textur."
All das steht da. Echt. Gewürdigt wird ein Sternerestaurant im belgischen Lüttich,
"man registriert Zuverlässiges, wird aber in keiner Weise angeregt",
lesen wir in der FAZ über das Sternerestaurant Héliport.
Ganz subjektiv: Das "taz"-Bier wäre mir jetzt lieber.
Zumal der Nachtisch, trotz Sternerestaurant, "kontraproduktive Brandspuren abbekommen" hat. Und wie kommen wir jetzt vom klar bauchorientierten Teil der Kulturpresseschau zur hehren Kunst? Ganz einfach, gleich zwei Schlagzeilen stehen zur Auswahl beim Brücke bauen.
"Tränen säen, Gemüse ernten",
so überschreibt der TAGESSPIEGEL eine Opernkritik und, noch zielführender:
"Gesunder Darm, gesunde Kunst".
Das lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über eine Ausstellung der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist, die viel Spaß an den glitschigen Höhlen der Verdauung hat und bei einer Darmspiegelung schicke Bilder für ihre Videokunst findet ...
Abstecher zur Kunst
Gönnen wir uns mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schlussendlich noch einen Abstecher zu ganz großer Kunst, zur Landesausstellung von Sachsen-Anhalt, Ludwig Cranach dem Jüngeren gewidmet.
1515 in Wittenberg geboren, in der Werkstatt des Vaters groß geworden, hat er das Werk des Alten auf seine Weise fortgesetzt. Eine große und so liebevoll wie klug gemachte Ausstellung in Wittenberg, ergänzt um weitere Cranach- Schauen in Dessau und Wörlitz, würdigen die Kunst des Renaissancemeisters.
Die Lebendigkeit und Feinfühligkeit seiner Portraits berührt bis heute ganz unmittelbar, und es ist schön, dass die Süddeutsche Zeitung den Artikel anschaulich illustriert, sodass man gleich Lust bekommt aufs Original.
Gern zitieren wir den begeisterten Autor Gottfried Knap:
"Es hat zwei Maler mit dem Namen Cranach gegeben, derentwegen sich eine Reise in die Mitte Deutschlands lohnt!"
Fahren Sie hin, jetzt, wo es womöglich doch ein bisschen weniger drängelig ist als im drohenden Luther-Jahr!
In eine Abendmahlsszene hat sich Cranach der Jüngere übrigens als ziemlich handfesten Mundschenk mit eingebaut und kredenzt Rotwein in riesigen Gläsern - einen Weinausschank betrieb der Künstler nämlich zusätzlich. Und Kalbskopfkroketten brutzeln, das konnte man zu seiner Zeit bestimmt auch – mit und ohne Schnecken!
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