Aus den Feuilletons

Lästereien unter Autoren

Der indisch-britische Schriftsteller Sir Salman Rushdie am 20.03.2013 in Berlin.
Salman Rushdie war noch nie darauf aus, geliebt zu werden. Auch nicht von © picture alliance / dpa
Von Tobias Wenzel · 02.05.2015
Rachel Kushner und fünf andere Schriftsteller wollen nicht an einer Veranstaltung zu Ehren der ermordeten Autoren von Charlie Hebdo teilnehmen und ernten dafür bissige Kritik von Salman Rushdie. Der hält seine Kollegen für verweichlicht und nennt sie "Pussies".
"Er flattert, als ob einem ein Tremor in die Hand gefahren sei", schrieb Peter Richter etwas ratlos zu Wochenbeginn in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und meinte seinen Daumen. Der Daumen des Kritikers wollte einfach nicht nach oben oder unten zeigen, als Richter den von Renzo Piano entworfenen Neubau für das Whitney Museum in New York besichtigt hatte. Nicht nur Richters Daumen schien zu flattern, sondern auch das Gebäude im Auge des Kritikers: "Statt Decken gibt es quasi Schnürböden, von Etage zu Etage unterschiedlich tief und unterschiedlich penetrant mit weißen Gattern zerrastert. Von hier baumeln die Wände herab, als seien es Figuren aus der Augsburger Puppenkiste." Richter empfand es als "überwiegend sehr herrlich" in dem Neubau, wähnte sich aber zugleich in einer "Fischsuppe". Über den Architekten schrieb er nämlich: "Piano selbst belegt die Anhäufung von Disparatem, Ambivalentem, Unentschiedenem mit der in der Architekturgeschichte bisher eher seltenen Metapher der Bouillabaisse."
Vermeintliche Feiglinge
Die Feuilletonsuppe dieser Woche bestand ansonsten aus Analogem und Digitalem, aus Reumütigem und Deftigem. Die Emotionen kochten hoch. Die WELT berichtete darüber, Salman Rushdie habe sechs Schriftstellerkollegen als "Pussies" beschimpft. Der internationale Autorenverband P.E.N. will nämlich am kommenden Dienstag in New York die ermordeten Autoren von Charlie Hebdo posthum ehren. Sechs Schriftsteller, darunter Michael Ondaatje, Peter Carey und Rachel Kushner, wollen an der Veranstaltung nicht teilnehmen. Deshalb sind sie für Rushdie eben "Pussies", verweichlichte Feiglinge also. Vom SPIEGEL auf Rushdies Kritik angesprochen, sagt (oder sollte man besser sagen: lügt?) die erwähnte, genervt wirkende Rachel Kushner: "Die Stellungnahmen von Salman Rushdie habe ich nicht verfolgt."
Ulrich Greiner hat dagegen sehr genau verfolgt, was sein Kollege Ijoma Mangold in der ZEIT-Ausgabe der letzten Woche schrieb. Nämlich, in den Worten von Greiner, eine „Facebook-Hymne". Der setzte Greiner nun in der aktuellen Ausgabe der ZEIT seinen eigenen Artikel „Viel Lärm um nichts" entgegen. „Mangold ist beglückt, weil er sich auf Facebook mit Kollegen austauschen kann", schrieb Greiner und nannte die Kommunikation bei Facebook "Faseleien" und ein "leicht febrile[s] Pingpong". Das könne man doch nicht höher werten als den Printjournalismus. "Unsere Aufgabe besteht nicht darin, Meinungen zu verbreiten", schreibt Ulrich Greiner weiter, "sondern das Tohuwabohu des bloß Meinungshaften zu durchdringen, indem wir Fragestellungen klären, Argumente sichten und schließlich zu einem nachvollziehbaren Urteil gelangen."
Vielleicht sollte Ulrich Greiner seinem Kollegen Ijoma Mangold zu Weihnachten eine Lavalampe schenken. Ja, Sie haben richtig gehört. Martin Reichert berichtete nämlich in der TAZ über die Vorteile dieses "analogen Blubberns". Reicherts Neffe hat zur Erstkommunion eine solche Lampe bekommen. Und die lässt ihn offensichtlich Facebook und Co. vergessen. In den Worten von Martin Reichert: "Der frisch in die weltumspannende, römisch-katholische Alleinvertretungsgesellschaft eingetretene Neffe war nicht nur sehr glücklich über die pulsierende Magma-Gerätschaft, sondern zog das Betrachten selbiger sogar dem Wischen auf seinem [...] Tablet-Computer vor. Eine Leuchte, die mit der freigesetzten Energie einer Glühlampe eine Flüssigkeit in Bewegung setzt, schlägt ein Tablet mit A7-Prozessor und bewahrt das Kind vor Ballerspielen, Porno- und Katzen-Content." Ein regelrechtes Lampenevent also.
Freie Theatergruppen so bekannt wie Peymann und Thalheimer
"Kulturkampf? Welcher Kulturkampf?", fragte im TAGESSPIEGEL Thomas Oberender, der Intendant der Berliner Festspiele, also jener Institution, die genauso wie das HAU als "Eventschuppen" diffamiert wurde. Oberender konnte jedenfalls die Aufregung vor und nach der offiziellen Berufung von Chris Dercon zum neuen Leiter der Berliner Volksbühne nicht verstehen: "Plötzlich wird die vermeintlich progressive Szene der freien Produzenten zu Agenten des Events und Marktliberalismus deklariert." Oberender fand das schlicht unfair. Letztlich seien "Illusionen" doch der "Grundstoff" eines jeden Theaters. Und dann eine kleine Grätsche gegen die Kritiker dieses "Eventtheaters": "Zum neuen Spektrum unserer Hochkultur zählt [...] auch, dass beispielsweise Rimini Protokoll oder Milo Rau, die Theaterorte wie das HAU oder Festivals zum Produzieren und Touren brauchen, inzwischen weltweit mindestens so bekannt sind wie Claus Peymann oder Michael Thalheimer – und folgenreicher."
Martin Walsers Rede in der Frankfurter Paulskirche im Jahr 1998 war für ihn unangenehm folgenreich. Er wurde danach sogar als Antisemit bezeichnet. "Es war vielleicht leichtsinnig von mir, von der Instrumentalisierung des Holocaust zu sprechen, ohne Namen zu nennen", bekennt er jetzt im Interview mit Martin Doerry und Volker Hage vom SPIEGEL. "Ich habe an Günter Grass, Joschka Fischer und Walter Jens gedacht. Ignatz Bubis hat geglaubt, ich würde ihn damit meinen." Der SPIEGEL fragt nach: "Sie meinen das Grass-Argument, wegen Auschwitz dürfe es keine Wiedervereinigung geben?" Darauf Walser: "Ja. Später sagte sogar Joschka Fischer: Serbien bombardieren als Lehre von Auschwitz. So etwas meinte ich mit Instrumentalisierung."
Und dann wird Walser darauf angesprochen, dass er wegschaue, wenn er Bilder von KZ-Ermordeten sehe. Seine reumütige Antwort: "Das betrifft eben nicht nur Auschwitz. Wenn eine Mutter in Syrien ihr totes Kind in die Kamera hält, schaue ich weg. Ich kann das auf dem Bildschirm nicht ertragen. Aber das ist mir inzwischen auch klar: Das hätte ich nie anwenden dürfen auf Auschwitz. Es wurde mir von jüdischen Intellektuellen mit Recht übel genommen, weil sie glaubten, ich wollte speziell von Auschwitz wegschauen. [...] Heute würde ich das nicht mehr sagen. Ich will dieses Hickhack nicht."
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