Aus den Feuilletons

Kunst und Kapitalismus

Die Hochhauskulisse der Bankenmetropole Frankfurt am Main ragt hinter dem Stadtteil Sachsenhausen hervor.
Bankenmetropole Frankfurt am Main - ein guter Ort für Kunst? © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Burkhard Müller-Ullrich · 23.09.2014
Ein Museum im Frankfurter Bankenviertel, in den Räumen eines Immobilienhais - kann das gut gehen? Das fragt die "Süddeutsche Zeitung" - und spricht zudem mit dem Ex-Präsidenten der Stanford University, Gerhard Casper, über Mittelkürzungen an US-Unis.
Die private Stanford Universität, zweifellos eine der besten in den USA und vielleicht auf der ganzen Welt, hat Geldsorgen auf sehr hohem Niveau. Denn auch sie lebt zu einem, allerdings nur kleinen Teil von Staatsgeldern, die derzeit überall zurückgefahren werden. Viel mehr betroffen sind die öffentlichen Unis, von denen es auch einige erstklassige gibt. Sie mussten wegen der Mittelkürzungen ihre Studiengebühren viel stärker anheben als die privaten. Das erfährt man aus einem Interview der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit dem ehemaligen Präsidenten der Stanford University, dem in Deutschland geborenen Juristen Gerhard Casper, der auch noch mit 77 Jahren weiterhin in Stanford lehrt.
Ein Großteil des Interviews umspielt Fragen wie: Werden die Geisteswissenschaften zum Stiefkind? Ist Stanford bloß eine Personalaufzuchtstätte für die Firmen im benachbarten Silicon Valley? Und wird die Universität, indem sie Spenden annimmt, nicht zur Dienstmagd der Privatwirtschaft? Casper verneint das alles und mit guten Gründen: Die Geisteswissenschaften von Stanford werden in internationalen Rankings immer noch als Weltspitze bewertet; die Uni ist kein Zulieferbetrieb für Silicon Valley, sondern Silicon Valley ist im wesentlichen durch Stanford-Absolventen zu dem geworden, was es ist. Und zu den Finanzmitteln sagt Casper:
"Wichtig sind jene Absolventen, die viel Geld in der Wirtschaft verdient haben und jetzt ihre Dankbarkeit zeigen wollen. Selten kommen diese Spenden mit Bedingungen, die man nicht akzeptieren kann."
Und beinahe nebenbei erwähnt Casper, dass in Stanford nicht nur gerade eine neue Konzerthalle gebaut wurde, sondern dass auf dem Campus zusätzlich zu dem bestehenden noch ein zweites Museum errichtet wird, um die Anderson Collection aufzunehmen – die bedeutendste Privatsammlung moderner und zeitgenössischer amerikanischer Kunst an der Westküste.
Museumsfiliale im Frankfurter Bankenviertel
Man möchte der Kunstkritikerin Laura Weissmüller von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG abraten, sich jemals in das kapitalistische Stanford zu bemühen; sie echauffiert sich nämlich bereits über ein privat mitfinanziertes Museumsprojekt in Frankfurt am Main. Dort wird in dreieinhalb Wochen das MMK 2, eine Filiale des Museums für Moderne Kunst, in auf zehn Jahre vom Hauseigentümer, einem amerikanischen Immobilientycoon, kostenlos überlassenen Räumen in einem Hochhaus im Bankenviertel eröffnet. Schon bei dem Standort Bankenviertel kommen der Autorin schwerste Bedenken:
"Muss sich ein Museum nicht an die gesamte Bevölkerung richten, statt an eine exklusive Elite?"
... fragt sie streng und macht sich vor allem Sorgen um "Geringverdiener, Arbeitslose oder Studenten", die sich "hier deutlich unwohler fühlen" dürften als Banker und Juristen in ihrer Mittagspause. Damit dürften wohl die meisten Opernhäuser und Museen auf der Welt für Laura Weissmüller am falschen Ort stehen. Besonders hübsch ist ihre Feststellung:
"Auch die Werke eines Kapitalismuskritikers wie Hans Haacke müssen artig das Foyer passieren, um in die Ausstellungsräume zu gelangen. Das kostet die Kunst ihre subversive Kraft."
Gemeint ist wohl: Die kapitalistische Raumluft im Bankgebäude bremst irgendwie die Revolutionsstrahlung der Bilder. Es kommt aber noch besser. Museumsdirektorin Susanne Gaensheimer wird mit dem Satz zitiert:
"Viele Städte können sich kein eigenes Museum oder gar einen Neubau leisten. Wir haben kein Budget und null Ankaufsetat, wir müssen uns etwas einfallen lassen."
Nun könnte man als Zeitungskritiker bei vielen Städten ungefähr so etwas schreiben wie: "Statt sich erfinderisch zu zeigen, protestieren die Museumsleute bloß." Aber bei Frankfurt stimmt das eben nicht. Was also schreibt die Kritikerin der "Süddeutschen"? Sie schreibt folgendes:
"Keine Stadt in Deutschland dürfte mit ihrer beeindruckenden Skyline optisch so für Wirtschaftskraft stehen wie Frankfurt. Trotzdem sind die öffentlichen Kassen leer. Statt gegen diese Schieflage zu protestieren, gibt man sich in Frankfurt lieber erfinderisch."
Das ist also für die Feuilletonistin der Sündenfall: dass man sich erfinderisch gibt. Oder ist diese Betrachtung nicht eher ein Sündenfall des Feuilletons?