Aus den Feuilletons

Krieg und Kriegsgeschrei

Nachdem am 1. August 1914 durch Kaiser Wilhelm II. die allgemeine Mobilmachung verkündet worden ist, ziehen deutsche Soldaten in den Krieg (Aufnahme vom August 1914). Am 28. Juni 1914 war in Sarajevo der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand durch serbische Nationalisten ermordet worden. In der Folge erklärte Wien am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg. Der Konflikt entwickelte aufgrund der europäischen Bündnisverpflichtungen und Generalstabsabmachungen in kurzer Zeit zu einem Weltkrieg. Am 1. August 1914 erfolgte die Kriegserklärung Deutschlands an Rußland, zwei Tage später an Frankreich.
Erst Jubel und später die totale Ernüchterung bringt der 1. Weltkrieg für die meisten © dpa picture alliance
Von Arno Orzessek · 14.08.2014
Die "NZZ" feiert Peter von Matts "Die letzten Tage der Menschheit" als ein Werk, das die Leser in die "Eingeweide des Ersten Weltkriegs" führt. Und in der "Berliner" wünscht sich der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani ein Bündnis gegen die Gotteskrieger.
Schade drum!
Unser erster Impuls war, mit der BERLINER ZEITUNG das "Eintauchen ins Dekolleté" zu thematisieren, um eine warm-weiche Stimmung zu erzeugen.
Aber wenn so eine Kulturpresseschau erst einmal erotisch-heiter beginnt, liebe Hörer, dann sind Sie womöglich umso enttäuschter, wenn es blutig-ernst weiter geht.
Darum ersparen wir Ihnen diese Enttäuschung und beginnen – mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG"In den Eingeweiden des Ersten Weltkriegs".
Peter von Matt feiert Karl Kraus' "epochales Monsterdrama 'Die letzten Tage der Menschheit'", nennt das Werk, das zwischen 1915 und 1922 entstand, "ein Buch zum Lachen und Ersticken" und erklärt:
"Die nationalistische Prahlerei, der alltägliche Rassismus, die Lügen über Ursachen und Verlauf des Geschehens, die Korruption bei der Aushebung der Frontkämpfer, die brutale Herrschaft der Offiziere, die Verachtung für die bettelnden Blinden und Amputierten, die Selbstbetäubung in billigen Opern […]: Das ganze Spektakel der menschlichen Mikrobosheit braust uns in Sprachfetzen, Wortwechseln und Tiraden um die Ohren."
So Peter von Matt über "Die letzten Tagen der Menschheit" in der NZZ.
Um bei den Fallstricken der Sprache zu bleiben:
"Von Narren und Narrativen" handelt Volker Hagedorn im Berliner TAGESSPIEGEL –wobei ihm insbesondere die Karriere des Modeworts 'Narrativ' närrisch erscheint.
"Zum Narrativ veredelt und vernebelt man heute eine Behauptung, ein Axiom, eine Gründungslegende, eine Interpretation, mit der so extrem Komplexes wie 'Erster Weltkrieg' und 'Nahostkonflikt', 'soziale Medien' und 'europäische Identität' auf ein Leitmotiv gebracht werden können. […] Mit dem passenden Narrativ […] können Menschen zu Narren und dann zu Toten werden."
Ob die Terror-Bande Islamischer Staat ihre Totschlag-Ideologie auch als Narrativ bezeichnet, wissen wir nicht.
Wohl aber, dass der Schriftsteller Navid Kermani in der BERLINER ZEITUNG verlangt: "Stoppt die Gotteskrieger":
"Es ist höchste Zeit für ein breites Bündnis quer durch die Religionen und Kulturen. […] Man wird Terroristen nicht mit Yogamatten unter dem Arm besiegen. Aber wenn wenigstens diejenigen Staaten, die in den Konflikt direkt verwickelt sind, sich auf ihr gemeinsames Interesse an Stabilität besännen, wäre gegen zwanzigtausend noch so gnadenlose Kämpfer durchaus etwas auszurichten."
Man höre nun und staune, welche Länder Kermani mit seinem Schlachtaufruf zum Bündnis bewegen möchte.
"Die Vereinigten Staaten mit ihrem verheerenden Einmarsch in den Irak und ihrem leider ebenfalls falschen, weil verfrühten Abmarsch, Iran mit seiner schiitischen Klientelpolitik, die die sunnitische Bevölkerung ins Lager der Extremisten getrieben hat, die Golfstaaten mit ihrer milliardenschweren Unterstützung dschihadistischer Gruppierungen, die Türkei, die ihre südöstliche Grenze allzu lange für den 'Islamischen Staat' offenhielt, Syrien, das einen Krieg gegen den größeren Teil der eigenen Bevölkerung führt, Russland, das zusammen mit Iran hinter dem menschenverachtenden Assad-Regime steht, und schließlich Europa."
Geschätzter Navid Kermani, wieviel Wunschpunsch haben Sie beim Schreiben dieser Zeilen eigentlich intus gehabt?
Eher werden die Schlächter von 'Islamischer Staat' Zeugen Jehovas, als dass Ihr utopisches Bündnis gegen diese Schlächter ins Feld zieht!
Petro Poroschenko, der Präsident der Ukraine, führt gegen die Rebellen im Osten des Landes derweil ohne Bündnispartner Krieg.
Und dafür erteilt ihm in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy überschwängliches Lob:
"Kriegschef wider Willen, Wächter eines Europas, von dem er inzwischen fast so überzeugt ist wie von der Ukraine, standhafter Gegner Putins in einer Zeit, in der sich viele Amtskollegen lieber ducken […], tritt Poroschenko heute in die Reihe historischer Figuren ein, die mich immer fasziniert haben."
Krieg und Kriegsgeschrei also wohin man blickt!
Man könnte darüber den Kopf in den Sand stecken. Eine sanftere Alternative wäre natürlich – mit der erwähnten Überschrift der BERLINER ZEITUNG:
„[Das] Eintauchen ins Dekolleté.“