Aus den Feuilletons

Keine Lust auf Politik

"Vor allem junge Leute sind merkwürdig harmonisch orientiert", schreibt der Politikwissenschaftler Peter Grottian.
"Vor allem junge Leute sind merkwürdig harmonisch orientiert", schreibt der Politikwissenschaftler Peter Grottian. © picture alliance / Wolfram Steinberg
Von Adelheid Wedel · 26.09.2014
In der "taz" moniert Politologe Peter Grottian, dass es trotz maroder Demokratie, Armut und NSA-Skandal keine Proteste gibt. Vor allem junge Leute seien so passiv. Wiederum beweist die Chemnitzer Band "Kraftklub" im Interview ebenso mit der "taz" das Gegenteil.
"Die repräsentative Demokratie ist verstockt und erodiert in vielen Bereichen",
schreibt der Berliner Politikwissenschaftler Peter Grottian in der Tageszeitung taz. Den Aufschrei, den er vergeblich von den Bürgern erhofft, formuliert er unter der Überschrift: "Protest, der auf den Hund gekommen ist."
Zunächst belegt er seine Behauptung vom Demokratieschwund:
"Die Wahlbeteiligung geht seit Jahren zurück. Die Reputation von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Banken und Leitmedien sinkt rapide. Das wirkliche Engagement in den Parteien nimmt drastisch ab – lieber werden Pfründe verwaltet als gestaltet. Die Menschen begreifen ohnmächtig, dass Märkte wichtiger sind als sie."
Nach den Skandalen – weiter wie bisher
Und dann seine bestürzte Schlussfolgerung: "Aber nichts folgt daraus. Kein Aufruhr. Kein Protest."
Die Erkenntnis, die Grottian umtreibt:
"Der massive Verdruss über die repräsentative Demokratie führt nicht zu einem Zugewinn an Einfluss der sozialen Bewegungen und des außerparlamentarischen Protests. Sozialproteste gegen die zunehmende Verarmung breiter Bevölkerungsschichten: Fehlanzeige. Anti-Banken- und Finanzmarktproteste",
kaum wahrnehmbar. Zitat:
"Banken müssen weder ihre Entflechtung noch die wirkliche Einschränkung ihrer oft verbrecherischen Produktpalette fürchten. Gegen den NSA-Skandal: nichts. Die NSA und die deutschen Geheimdienste können sich angesichts bisher ausgebliebener Proteste entspannt zurücklehnen. Massenmobilisierung gegen Rüstungsexporte? Nicht möglich."
Was den Autor besonders verwundert:
"Vor allem junge Leute sind merkwürdig harmonisch orientiert, sie orientieren sich eher an Fernsehbildern des bemalten Protests als den Herrschenden wirklich vor das Schienenbein zu treten."
Neue Balance zwischen direkter und repräsentativer Demokratie
Vielleicht kommt ihnen die Basisdemokratie auch einfach zu altbacken daher, vermutet der Politikwissenschaftler. Viele misstrauen sowohl der repräsentativen wie der direkten Demokratie. Grottians Fazit:
"Die repräsentative Demokratie abzuschaffen, ist völlig unrealistisch wie auch die etwas naive Vorstellung, die Herrschenden wären an einer mehr Demokratie versprechenden Reform interessiert."
Er empfiehlt, eine neue Balance von direkter und repräsentativer Demokratie herzustellen, durch massenhaftes politisches Engagement mit mehr zivilem Ungehorsam.
Band als Sprachrohr ihrer Generation
Die taz liefert ein schönes Beispiel für jugendliches Selbstbewusstsein mit dem Interview der Band "Kraftklub", die derzeit "als die coolste Rockband des Landes und als Sprachrohr ihrer Generation"gehandelt wird.
"Eigentlich wollen wir das nicht sein",sagt Bandmitglied Felix Brummer im Interview.
"In Chemnitz ist die Frage, ob man rechts oder links ist, nicht unbedingt eine politische",
erklärt er.
"Man ist 15 Jahre alt und links, ein paar Klassenkameraden sind rechts und von denen kriegt man eins auf die Mütze. Man weiß dann automatisch, mit denen will man nichts zu tun haben, aber die Gründe, warum die so sind, die kennt man nicht unbedingt."
Ihrer Heimatstadt Chemnitz haben sie mit dem Song "Karl-Marx-Stadt" ein Denkmal gesetzt. "Ich will nicht nach Berlin" heißt ein anderer. "Das war nicht gegen Berlin gerichtet", es sollte nur ausdrücken: Es macht einen nicht cooler, wenn man in Kreuzberg wohnt.
"Viele denken, sie werden automatisch zum großen Kosmopoliten. Die meisten bleiben aber dieselben provinziellen Spackos, die halt bloß in Berlin wohnen."
Aufgeweckte Schlafwandler
"Sind wir die neuen Schlafwandler"so die provozierende Überschrift über einen Bericht vom 50. Deutschen Historikertag in Göttingen in der Tageszeitung DIE WELT. Einer der Höhepunkte des "größten geisteswissenschaftlichen Kongresses in Europa" mit 450 Referaten war die kurzfristig ins Programm genommene Podiumsdiskussion "Der Konflikt um die Ukraine. Historische Hintergründe aus ukrainischer, russischer und deutscher Perspektive" mit dem Historiker Karl Schlögel.
Großes Diskussionsthema war außerdem Christopher Clarks Bestseller, mit dem der Australier die laufende Debatte über den Ersten Weltkrieg ausgelöst hatte. Johannes Paulmann vom Historikerverband bemerkte treffend:
"Die Schlafwandler haben viele aufgeweckt."
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