Aus den Feuilletons

Jungfrauen-Haar bei Alibaba

Jack Ma, chairman of Alibaba Group, witnesses a group wedding ceremony on May 9, 2014 in Hangzhou, Zhejiang Province of China
Alibabas Gründer und Vorstandsvorsitzender Jack Ma ist einer der schillerndsten Unternehmer Chinas. © picture alliance / dpa / Chinafotopress
Von Tobias Wenzel · 21.09.2014
Tätowiermaschinen, Dessous, Nippes: Wie beim Besuch in einem Billigladen fühlte sich Mark Siemons bei einer Stippvisite auf der chinesischen Onlineplattform "Alibaba". In seinem Beitrag in der "FAZ" zeigt er sich sichtlich amüsiert über die Produktpalette. Das soll ein Weltunternehmen sein?
"Wilder Thymian", "Flügel der Liebe", nicht zu verwechseln mit "Segel der Liebe" und "Flügel der Hoffnung" – so oder ähnlich heißen die 123 Liebesschnulzen-Romane von Rosamunde Pilcher, die das ZDF verfilmt hat. Durchschnittlich sieben Millionen Deutsche sahen pro Film entzückt zu. Ungefähr genauso viele dürften vor lauter Brechreiz die Kiste ausgeschaltet haben.
"So pilchert die Rosamunde",
titelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zum 90. Geburtstag der Autorin und versucht hinter deren "Kitschrezept" zu kommen. Als da wären:
"Gepflegte, pastellfarbene Kleidung. Sieht auch nur aus wie Klamotten, ist hier aber immer a) tantig und b) frisch gewaschen."
Kein Deutscher muss sich jedenfalls für Rosamunde Pilcher schämen. Sie ist nämlich nicht etwa eine alte Dame aus Wuppertal, sondern eine waschechte Britin.
Sätze wie aus einem Groschenroman
Christian Petzold wiederum ist kein Brite, sondern Deutscher, so weh diese Tatsache auch Georg Diez vom SPIEGEL tun mag. Als der Kritiker Petzolds neuen Kinofilm "Phoenix" sah, wähnte er sich wohl in einer Pilcher-Verfilmung, wenn nicht gar in etwas Schlimmerem:
"Die Sätze dieses windschiefen Drehbuchs, die klingen wie aus einem Groschenroman, den jemand in einer Grabbelkiste auf dem Flohmarkt gefunden hat",
schreibt Diez in seinem gnadenlosen Verriss. Es geht um Nelly, eine von Nina Hoss gespielte jüdische Frau, die am Ende des Zweiten Weltkriegs mit entstelltem Gesicht auf ihren Ehemann trifft, der sie vermutlich verraten hat, sie nun nicht mehr erkennt, aber als Doppelgängerin ihrer selbst anwirbt, um an das Erbe eben dieser Nelly zu kommen.
"Was soll also dieses bleierne Knallchargentheater?", fragt Georg Diez ebenso aufgebracht wie ratlos im SPIEGEL und wirft dem Regisseur vor, er habe "den Holocaust im Jahr 2014 mit den Mitteln und der Moral der Fünfzigerjahre ins Gewand eines Melodrams gepackt".
Depressiver Komiker
Er habe noch nie ein Konzentrationslager besucht, erzählt, ebenfalls im SPIEGEL, Oliver Polak, der deutsche Stand-Up-Comedian, der aus jüdischer Warte Witze über den Holocaust macht. Ob ihn ein Besuch eines Konzentrationslagers nicht interessiere, will SPIEGEL-Redakteur Philipp Oehmke wissen.
"Was soll ich da?", antwortet Polak.
"Ich muss mir das nicht reinziehen. Ich würde erst wieder hinfahren, wenn ich muss."
Polaks bitterschwarzer Humor eben.
"Ich war zwar Bestsellerautor und hatte ausverkaufte Shows, aber es blieb die Leere", erzählt er. Er wurde depressiv, verbrachte einige Zeit in der Psychiatrie. "Der jüdische Patient" heißt sein neues Buch, das sicher nicht nur zum Lachen ist. Im Gespräch mit Oehmke sagt Polak:
"Ich erinnere mich, als ich zwölf war, hat meine Mutter meinem Vater einen Stammbaum der Familie geschenkt und feierlich enthüllt. Doch fast alle Äste liefen ins Leere. Die meisten Verwandten waren umgebracht worden. Da haben alle geweint."
Tätowiermaschinen und türkische Dessous
Zum Schluss lieber noch etwas Komisches: Mark Siemons berichtet in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über den Börsengang der chinesischen Onlineplattform "Alibaba". Die wolle weltweit erfolgreich sein und Amazon gefährlich werden. Aber ist das realistisch? Siemons hat da so seine Zweifel. Beim Betrachten der deutschen Internetseite von Alibaba ist er auf Produkte gestoßen, "von denen her einen weniger die dünne Luft einer Weltfirma als der strenge Geruch unaufgeräumter Billigläden anweht: Tätowiermaschinen, sexy türkische Dessous, Knoblauch."
Die ursprünglich auf Chinesisch verfassten Produktbeschreibungen seien mit einer Übersetzungsmaschine ins Deutsche übertragen worden. Aber nicht nur die seltsame Sprache, auch die Produkte aus einem anderen kulturellen Kontext könnten den möglichen deutschen Käufer ordentlich verwirren:
"Ein 'schöner Engel-Flügel' ist als Geschenk bei Gelegenheiten wie 'Jahrestag, Hochzeit und Partei' geeignet", schreibt Siemons und außerdem:
"Mehrmals annonciert wird unverarbeitetes Haar brasilianischer Jungfrauen".