Aus den Feuilletons

Gurlitt und sein Fetisch

Namensschild des deutschen Kunstsammlers Cornelius Gurlitt an seinem Haus in Salzburg/Österreich.
Namensschild des deutschen Kunstsammlers Cornelius Gurlitt an seinem Haus in Salzburg/Österreich. © picture alliance / dpa / Barbara Gindl
Gregor Sander · 09.04.2014
"Cornelius Gurlitt ist eine Figur, wie sie sich allenfalls die Mitscherlichs, W. G. Sebald und Siegfried Lenz zusammen hätten ausdenken können", stellt die "Welt" fest. In seinem Fall gibt es eine neue Wendung. In der "FAZ" und der "Zeit" wird der Film "24 Stunden Jerusalem" gelobt.
"Cornelius Gurlitt ist eine Figur, wie sie sich allenfalls die Mitscherlichs, W. G. Sebald und Siegfried Lenz zusammen hätten ausdenken können", stellt Mara Delius in der Tageszeitung DIE WELT fest.
"Der Einundachtzigjährige hegte ein fetischistisches Verhältnis zu seinen Bildern, abends nahm er sie von den Wänden seiner Wohnung, die dem Rückzugsort eines Eremiten glich, er sprach mit ihnen, heißt es, sie seien ihm die Familie gewesen."
In dieser Woche bekam der Fall eine neue Wendung.
"Gurlitt hatte am Montag einen Vertrag mit der Bundesregierung und dem Freistaat Bayern geschlossen, in dem er erklärt, seine Sammlung von Experten der Taskforce "Schwabinger Kunstfund" untersuchen zu lassen und diejenigen Werke, die unter dem Verdacht der Raubkunst stehen, gegebenenfalls zurückzugeben",
so Mara Delius in der WELT.
Unter diesem Verdacht stehen etwa 500 der 1280 Gemälde. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat Hans Leyendecker und Georg Mascolo mit ihrem Gurlitt-Artikel beauftragt, und die beiden mutmaßen:
"Hat dann am Ende eine Hand von oben das juristische Chaos beseitigt? In der bayerischen Justiz erzählt man sich fast ehrfürchtig, am Montagnachmittag sei der "General" mit den Augsburger Ermittlern und Verteidigern zusammen gekommen, um tabula rasa zu machen. Mit "General" bezeichnet man in der Justiz einen Generalstaatsanwalt. In München ist das Christoph Strötz, der als erfahren und sehr durchsetzungsfähig gilt."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG bilanziert:
"Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack - dessen Ursachen in einer Zeit liegen, in der Gurlitts Eltern die Erben der Bestohlenen bewusst über den Verbleib der Werke angelogen haben und das vor dem Krieg geschehene Unrecht skrupellos ins Kunstsystem der Bundesrepublik hinein verlängert wurde."
Wie sehr uns diese Zeit, also der Nationalsozialismus, immer noch beschäftigt zeigt auch der Dokumentarfilm "Schnee von gestern" der 1980 geborenen israelischen Regisseurin Yael Reuveny. Andreas Platthaus Kritik dazu in der FAZ endet mit dem schlichten Satz: Ihr Film ist ein Meisterwerk. Reuveny erzählt die Geschichten ihrer Großmutter und deren Bruder, die beide den Holocaust überlebten. Nach dem Kriegsende wollen sie sich am Bahnhof in Lodz treffen. Doch das misslingt. Sie sollten sich nicht wieder sehen. Die Großmutter geht nach Israel, ihr Bruder Peter verbringt sein Leben in der DDR.
"Es war eine Peinlichkeit für die Dorfbewohner, dass Peter Schwarz in einem hier gelegenen KZ-Außenlager inhaftiert war. Doch weil er, als er nach dem Krieg dablieb, nicht darüber sprach, konnte man den neuen Nachbarn akzeptieren, ohne sich schuldig zu fühlen. Aber auch noch heute wird darüber nicht gesprochen."
Die israelische Großmutter schwieg ebenfalls über die Vergangenheit, und auch das thematisiert die junge Regisseurin. Andreas Busche zeigt sich in der TAZ beeindruckt und bescheinigt Yael Reuveny:
"Das Schweigen, das diese Erzählung umhüllt, zu brechen, ist nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer Verständigung. Drei Generationen werden dafür vielleicht nicht ausreichen."
Mit dem heutigen Israel beschäftigt sich Nina Pauer in der Wochenzeitung DIE ZEIT und jubelt schon in der Überschrift:"So gut kann Fernsehen sein." Gemeint ist eine Koproduktion des Bayrischen Rundfunks mit Arte:
"24 Stunden Jerusalem", die am Samstag in beiden Programmen zu sehen ist. 2009 hat der Regisseur Volker Heise ein ähnliches Projekt schon in Berlin vollbracht und sich dieses Mal noch übertroffen: Das filmische Konzept ist dabei noch aufwendiger als beim Berliner Vorgänger: 70 Filmteams waren vor Ort, um 90 Protagonisten in über 500 Drehstunden zu begleiten, vier Jahre hat das Projekt insgesamt gedauert, elf Monate lang wurde ununterbrochen geschnitten, mit Übersetzern für alle Sprachen Jerusalems, von Armenisch bis Aramäisch."
Auch Hans Christian Rössler von der FAZ hat da gern zugesehen:
"24h Jerusalem" gelingt es, einen Teil der Einwohner, die sich sonst lieber aus dem Weg gehen, wenigstens in einem Film zusammenzubringen."