Aus den Feuilletons

Geheimdienstarbeit auf Kreppsohlen

Der niederländische Fotograf und Filmregisseur Anton Corbijn bei der Premiere seines Films "A Most Wanted Man" in Amsterdam am 1.9.2014
Der niederländische Fotograf und Filmregisseur Anton Corbijn bei der Premiere seines Films "A Most Wanted Man" in Amsterdam © picture-alliance / dpa / Martijn Beekman
Von Maximilian Steinbeis · 09.09.2014
Ein Hauch von Kaltem Krieg im Feuilleton: In der "NZZ" geht es um sowjetische Sturmgewehre, und die "FAZ" schreibt über politischen Existenzialismus. Die "SZ" preist den Film "A Most Wanted Man" als eine große Freude.
Es weht ein grabesschwerer Hauch von Kaltem Krieg durchs deutschsprachige Feuilleton an diesem Tag. Sowjetische Sturmgewehre in der NZZ, politischer Existenzialismus in der FAZ, und die SÜDDEUTSCHE lässt sich zu dem Stoßseufzer hinreißen:
"So war sie einmal, die Geheimdienstarbeit."
Zn New York hat der Kulturkorrespondent der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Patrick Bahners dem Historiker Timothy Snyder zugehört, dem allgegenwärtigen Streiter für die nationale Sache der Ukraine. Dessen
"selbstlose Parteinahme für fremde Freiheit",
sein Glaube an den
"genuin revolutionären Moment der Nationsbildung, in dem alle älteren Unterschiede von Klasse, Konfession oder Herkunft gegenstandslos geworden seien,"
erinnern den durchaus beeindruckten FAZ-Autor an die liberale Geschichtsschreibung des neunzehnten Jahrhunderts, und seine in "hochgestimmtem Ton" vorgebrachte Putin-Deutung als Anti-Individualisten an"anspruchsvolle (...) Traktatliteratur des Kalten Krieges."
Zweifelhafter Eindruck
Snyders "existenzieller Ernst" verfehlt seine Wirkung auf den FAZ-Autor nicht. Kein offenes Wort der Kritik äußert er, geschweige denn der Polemik, doch am Ende entlässt er den Leser mit einem ebenso vielschichtigen wie zweifelhaften Eindruck: Snyder verschiebe die
"politische Auseinandersetzung innerhalb des Westens (...) auf das Feld der Logik, auf dem es nicht kluge und unkluge, sondern nur richtige oder falsche Entscheidungen gibt."
Die Ukraine-Krise werde so zu einer "Art Abiturprüfung, die besteht, wer die Widersprüche von Putins Propaganda durchschaut hat."
Das Sturmgewehr AK-47
Ähnlich vielschichtig-zweifelhaft agiert in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG Matthias Henning in seiner Rezension eines neuen Buchs über das Sturmgewehr AK-47, auch bekannt unter dem Namen Kalaschnikow. Was er schreibt, liest sich erst mal wie einem Werbeprospekt entnommen:
"Ihrer stupenden Zuverlässigkeit wegen ist sie berühmt; ihrer Durchschlagskraft wegen gefürchtet; ihres günstigen Preises und ihrer Schlichtheit halber beliebt: Sie steht für ein "ultimatives" Töten per Hand, das weitgehend pannenfrei und "schnörkellos ", schnell und ohne großen Aufwand erledigt werden kann."
Die Wörter "ultimativ" und "schnörkellos", das muss man hier beim Radio dazusagen, stehen in Gänsefüßchen. Ansonsten scheint die Freude des NZZ-Autors an diesem Spitzenprodukt der Ingenieurskunst von keiner erkennbaren Ironie getrübt; stattdessen gibt er seinem Text am Ende eine regelrecht subversive Note:
"Angesichts ihrer wuchernden Ausbreitung sei die Kalaschnikow zum Zeichen einer ungreifbar bleibenden Vernichtung geworden (...) eine globalisierte und Kriminellen zugängliche Waffe, die an der Zerstörung und Neuordnung von Territorien mitwirkt. Und damit an der Korrektur von Machtverhältnissen, an der Fragmentierung von Welt."
Old-School-Außenpolitik
Wer sich nach der so schön unfragmentierten Welt der Old-School-Außenpolitik zurücksehnt, wird an dem Film "A Most Wanted Man" seine Freude haben, jedenfalls wenn man Tobias Kniebe Glauben schenkt, der die John-Le-Carré-Verfilmung in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG rezensiert.
"Persönlich, fußläufig, nur durch Kreppsohlen vom Boden der Tatsachen getrennt,"
so erscheine die Geheimdienstarbeit, die man dort zu sehen bekommt.
"(W)as heute ist (...) wirkt dagegen wie die reinste Barbarei."
Im TAGESSPIEGEL dagegen findet Jan Schulz-Ojala, die "kollektive Paranoia-Grundierung" des Thrillers könne "aktueller (...) kaum sein", verrät dafür aber leichte Unsicherheiten im Umgang mit dem Komparativ: "Allenfalls seine Stimme", schreibt er über Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman, "wirkt leise heiserer, und sein Blick, wenn es nötig wird, noch beunruhigender leer".
Zuletzt hätten wir, apropos Krieg, Gewalt und Barbarei, gern noch die Wikinger-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau ausführlich gewürdigt, die die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG begeistert bespricht. Doch reicht uns die Zeit nur mehr für den tröstlichen Hinweis, dass auch die fürchterlichen Wikinger laut Rezensent Andreas Kilb "keine Lust" verspürten,
"im Jenseits weiterzukämpfen: Die Schwerter, die aus zeitgenössischen Kriegergräbern geborgen wurden, sind aufs allergründlichste verbogen und aufgerollt, auf dass keine Klinge des toten Helden Haar krümme. Bei den Göttern war Ruhe, egal, ob bei Jesus oder bei Thor."
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