Aus den Feuilletons

"Einen Schritt aufeinander zugehen"

Daniel Barenboim dirigiert das West-Eastern Divan Orchestra
Seit 15 Jahren gemeinsam unterwegs: Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra © picture alliance / dpa
von Arno Orzessek  · 24.07.2014
Gerade die Hoffnungslosigkeit der Situation könne einen Ausweg aus dem Gaza-Konflikt weisen, schreibt Dirigent Daniel Barenboim in der "Welt". Man müsse versuchen, die andere Seite zu verstehen. Und mehrere Rezensenten schütteln den Kopf über die "Überwachungsanleitung" der amerikanischen Geheimdienste.
"Wie werde ich zum Terroristen?"
grübelt Michael Hanfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG ...
Aber nicht etwa, weil er sich endlich in der Attentat- und Amok-Szene auszeichnen möchte.
Nein, Hanfeld hat die "Watchlisting Guidance" - Deutsch etwa 'Überwachungsanleitung' - der amerikanischen Geheimdienste gelesen, die nun vom Online-Magazin "The Intercept" veröffentlicht wurde.
Bedauerlicherweise, so Hanfeld, sei die Anleitung "derart kafkaesk formuliert, dass der Leser, je mehr er sich in das 166 Seiten umfassende Dokument vertieft, umso weniger versteht".
Aber doch immerhin so viel, dass der FAZ-Autor konstatieren kann:
"Verdächtig ist schon jeder, der sich mit Themen befasst, die im Zusammenhang mit Terrorismus stehen. [ ... ] Einträge bei Twitter oder Facebook werden als Verdachtsquellen ausdrücklich genannt. [ ... ] Es können auch ganze, nicht näher bestimmte 'Kategorien von Menschen' unter Generalverdacht gestellt werden. Dafür genüge, so schreibt 'The Intercept', schon die Einschätzung eines einzigen Offiziellen aus dem Weißen Haus."
Das klingt bestürzend und grotesk ...
Und Jörg Häntzschel berichtet in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nach der Lektüre der Terrorbekämpfungsfibel noch Groteskeres:

"Das Regularium [der Fibel] [ ... ] erlaubt es auch, Personen, für die sich nicht genug 'schädliche Informationen' finden lassen, wegen eines 'möglichen Nexus' zu Terrorismus als Verdächtige zu führen. [ ... ] Und man kann als 'Repräsentant' einer Terrororganisation betrachtet werden, auch wenn 'weder Mitgliedschaft noch Nähe zu der Organisation' besteht."
Und so weiter. Und so weiter.
Am Ende ist "Watchlisting Guidance"- Rezensent Häntzschel platt:
"Keine politische Analyse könnte klarer zeigen, wie irre Amerika am Trauma von 9/11 geworden ist. [ ... ] [Man kann] beim Lesen förmlich zusehen, wie ein geheimes zweites Justizsystem entsteht, das sich auf all das stützt, was im offiziellen Recht als irrelevant gilt: Spekulation, Hörensagen, Zufall, Verdacht, und das seine eigenen undurchsichtigen Strafen verhängt [ ... ]. 'Konkrete Fakten sind nicht nötig', heißt es [in der Fibel]."
Auf unsere Zunge drängt ein Fluch, der Chancen auf geheimdienstliche Auswertung haben müsste. Er lautet: "F ... you, NSA!"
Trostloser als im Wilden Westen geht's derweil im Nahen Osten zu, namentlich in Gaza ...
Was den Dirigenten Daniel Barenboim nicht entmutigen kann.
"Gerade die Hoffnungslosigkeit der Situation könnte einen Ausweg aus dem Konflikt zwischen Israel und Palästina weisen",

behauptet Barenboim in der Tageszeitung DIE WELT und erklärt auch, wie er sich das vorstellt.
"Der Kern der so unabdingbaren Annäherung [zwischen den Streitparteien] ist die Notwendigkeit, Mitgefühl miteinander zu haben. Meiner Meinung nach ist Mitgefühl nicht nur eine Empfindung, die aus dem psychologischen Verständnis der Notlage eines anderen Menschen resultiert - es ist vielmehr eine moralische Pflicht. Nur wenn wir versuchen, die Misere der anderen Seite zu verstehen, können wir einen Schritt aufeinander zugehen."
So Daniel Barenboim, der schon rein formal auf beiden Seiten steht: Er besitzt den israelischen und den palästinensischen Pass. -
Im übrigen, liebe Hörer, finden Sie in den Feuilletons auch Leichtes, Heiteres, Albernes ...
Darunter den restlos übergeschnappten Artikel "Eine Minute offline - ein Selbstversuch, der erstaunliche Erfahrungen birgt: Selbsterkenntnis und das Einswerden mit dem Selbst" in der TAGESZEITUNG.
Ebenfalls lustig das SZ-Interview mit dem Kabarettisten Ottfried Fischer, der jetzt beim Sky-Heimatkanal "Ottis Aquarium" moderiert ... aber nicht nur lustig.
Denn Fischer hat Parkinson. Worüber er sich, nun ja, belustigt.
"Ich habe festgestellt, dass die Leute das gern mögen, wenn jemand halbwegs tapfer mit seinem Leiden umgeht [ ... ]. Das hat Muhammad Ali übrigens genauso getan. Also auch ein vernünftiger Mensch. Wie gescheit muss ich erst sein, der ich nicht so oft eins an die Birne bekommen hab'?"
Auf der Relevanz-Skala ohne jeden Ausschlag, dafür umso ferienmäßiger: Ursula Scheers Gedanken zu "Fußballsammelalbenbildchensammeln" und "Fußballsammelbildchenküchenpsychologie" in der FAZ.
Aber lesen Sie selbst! Wir verabschieden uns heute - mit einer Überschrift der BERLINER ZEITUNG -
"Ganz ohne Pose".