Aus den Feuilletons

Eine Woche im Zeichen der AfD

Unbekannte haben am 13.03.2016 Scheiben des Veranstaltungsortes der Wahlparty der AfD in Berlin eingeworfen
Unbekannte haben am 13.03.2016 Scheiben des Veranstaltungsortes der Wahlparty der AfD in Berlin eingeworfen © picture alliance / dpa / Wolfgang Krumm
Von Arno Orzessek  · 19.03.2016
Die Feuilletons haben nach den Landtagswahlen von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt düster in die Welt geschaut. "Gegen die AfD hilft nur ein Ende der Worthülsen", heißt es in der "Welt". Aber wie genau das aussehen soll, kam nicht überzeugend rüber.
Es muss nicht unbedingt etwas heißen ...
Aber so viele schwarzmalerische Feuilleton-Überschriften wie in der vergangenen Woche haben wir binnen sechs Tagen noch nie gelesen.
"'Die Stimmung ist: Schnauze voll‘", titelte der Berliner TAGESSPIEGEL ...
Während die TAGESZEITUNG "Die Kaputtheit der Lage" festhielt.
"Ich sehe Anomalien. Und was siehst du?" fragte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG in verschwörerischem Therapeuten-Ton ...
Blieb damit allerdings weit hinter der fundamentalen Skepsis der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zurück - die nämlich grübelte: "Und wenn die Welt die Hölle wäre?"
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG herrschte "Die Angst vor uns", die Tageszeitung DIE WELT posaunte in apokalyptischem Ton "Das Rad der Geschichte zermalmt sie alle" - und selbst wenn nicht, ist die Situation laut TAZ "Urarg, urschlecht, urschade".
Offenbar schlägt, um es mit der SZ zu sagen, "Die Stunde der grundsätzlichen Gereiztheit".

Suche nach Strategien gegen die AfD

Weil wir Ihnen, liebe Hörer, jedoch unterstellen, dass Sie es mit Orhan Pamuk halten - der Literaturnobelpreisträger bekannte in der NZZ "'Details machen mich glücklich‘"-, widmen wir uns nun den Einzelheiten ...
Und zuerst der AfD, die nach dem Wahl-Sonntag im Feuilleton mehr - kritische - Stimmen auf sich vereinte als je zuvor.
Wobei es der SZ die Stimme im Grunde verschlug.
Unter dem Titel "'Vollpfosten‘ und 'Abgehängte‘" erläuterte Johann Schloemann fünf Strategien - etwa soziale Ausgrenzung, Leugnung der von der AfD beklagten Probleme und auch Humor -, mit der man der Petry-Partei auf gar keinen Fall beikommen kann.
Schloemanns negative Gewissheit war groß - positive Strategien fielen ihm allerdings nicht ein.
Jacques Schuster hatte in der WELT immerhin eine Idee und behauptete: "Gegen die AfD hilft nur ein Ende der Worthülsen."
In der Begründung ließ Schuster einige Worthülsen platzen - sein Brustton klang allerdings selbst etwas hohl.
"Es gibt keinen einzigen Grund, auf die Wahlsiege der AfD so zu regieren, als hätte das Gespenst des Rechtsradikalismus in Magdeburg Einzug gehalten, in Mainz sein Haupt erhoben und in Stuttgart seine Maske gezeigt. Selbst die neuen Bundesländer 'bräuneln‘ nicht, wie es in der 'Süddeutschen Zeitung‘ [ ... ] nervenschwach hieß. Und wenn sie es täten - dieser Staat würde auch dieses Problem lösen. Die Mehrheit seiner Bevölkerung ist (auch im Osten) nicht rechts."
Geht es nach dem Schriftsteller Peter Schneider, der dem TAGESSPIEGEL ein Interview gab, ist die AfD sogar ziemlich korrekt.
"Wenn die AfD-Wahlsieger betonen, dass sie keine Rassisten sind und 'niemals sein werden‘, dann bedeutet das doch etwas Gutes: dass Anti-Rassismus und Offenheit gegenüber Fremden offenbar nationaler Konsens geworden sind. Was nicht heißt, dass ich diesen Sprechern glaube." -

Pressefreiheits-Appell auf der Leipziger Buchmesse zu organisiert?

Nicht die AfD, sehr wohl aber die Flüchtlingskrise, die den AfD-Erfolg befördert hat, steht im Mittelpunkt der Leipziger Buchmesse ...
Und natürlich kam auch der Historiker Heinrich August Winkler, der den Buchpreis für Europäische Verständigung erhielt, am umstrittensten Thema dieser Tage nicht vorbei.
In der SZ beklagte Lothar Müller unter dem Titel "Konflikte, die man nicht abwählen kann", Winkler habe nur Nabelschau betrieben.
"Wie derzeit in Deutschland üblich, hatte Winkler in seinen Passagen zur Flüchtlingskrise nahezu ausschließlich die innenpolitischen Konsequenzen im Blick, die Sorge um den 'politischen Rückhalt in der Bevölkerung‘. Als ideale Fassung des Asylartikels im Grundgesetz schlug er vor: 'Politisch Verfolgten gewährt die Bundesrepublik nach Maßgabe ihrer Aufnahme - und Integrationsfähigkeit Asylrecht‘."
Die NZZ indessen störte an dem Leipziger Festakt, abgesehen von Winklers Ausführungen, eine "Wohlfeile Geste" - und zwar folgende:
"Nach Reden im Geiste der Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen, gegen Rassismus und für ein unabhängiges Buch- und Pressewesen als Garant der Meinungsvielfalt erfolgte der Appell ans Publikum, die ausgelegten Pappschilder [auf denen stand: 'Für das Wort und die Freiheit‘] hochzuhalten. Alle gehorchten, denn wer möchte schon als Freiheitsfeind dastehen, nur weil er die Geste billig findet?"
Ganz Deutschland diskutiert darüber, wie es mit den Flüchtlingen umgehen will, WELT-Autor Hendryk M. Broder aber erklärte: "Was die Flüchtlinge wollen" - gerade jene, die an der griechischen Grenze bei Idomeni in unsäglicher Lage verweilen.
"Gibt es für diese Art der Beharrlichkeit eine halbwegs vernünftige Erklärung?" fragte Broder und antwortete sich selbst ...
"Ja. Anders als im hedonistischen Europa, wo Jugendliche, denen der Einlass in die Disko verwehrt wurde, wegen posttraumatischer Belastungsstörungen behandelt werden müssen, gilt in der arabisch-islamischen Kultur das Leiden als ein Wert an sich. Das festzuhalten grenzt in Zeiten der Political Correctness an 'kulturellen Rassismus‘, macht die Feststellung aber nicht weniger wahr. Märtyrer zu werden, sich zu opfern ist in der arabisch-islamischen Welt als Lebensziel ebenso verbreitet wie unter deutschen Jugendlichen der Wunsch, Eventmanager zu werden."
So der Experte für orientalische Leidenssucht und teutonischen Wunschpunsch, Hendryk M. Broder.

Ausgerechnet Nietzsche brachte "christliche Werte" ins Spiel

Aber die Verhältnisse könnten sich ändern, sofern die NZZ in ihrem Optimismus recht hat. Sie titelte: "Werte sind verhandelbar" ...
Ein Prozess, den der Philosoph Andreas Urs Sommer an einem Beispiel erklärte.
"Gläubigen und Theologen war die Wendung 'christliche Werte‘ völlig unbekannt, bevor ausgerechnet Friedrich Nietzsche sie zum ersten Mal benutzte. Er hat es keineswegs als liebenswürdiges Kompliment gemeint, wenn er darunter die Jenseitsfixierung, die Verachtung des Leibes und die Verneinung des Lebens fasste. Davon wollen die heutigen Beschwörer 'christlicher Werte‘ nichts wissen",
bemerkte Andreas Urs Sommer - und steigerte seine Lobrede auf den Werte-Relativismus bis zur Binsenweisheit:
"Werte sind nicht gegeben, Werte sind gemacht."
Soviel für heute, liebe Hörer. Was immer Sie von diesem Wochenrückblick behalten - uns würde es freuen, dass auch das dazu zählte, was in der TAZ Überschrift wurde:
"Die Schönheit der Stimme beim Lesen."
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