Aus den Feuilletons

Ein Borstenwurm für Lemmy

Naturkundemuseum Chemnitz
Der nach Lemmy Kilmister von Motörhead benannte Borstenwurm "kalloprion kilmisteri" in der Ausstellung "Rock Fossils" im Naturkundemuseum Chemnitz. © picture alliance/dpa/Foto: Jan Woitas
Von Arno Orzessek · 27.12.2016
Das hätte dem verstorbenen Sänger Lemmy Kilmister von der Band Motörhead bestimmt gefallen. In der Ausstellung "Rock Fossils" im Naturkundemuseum Chemnitz ist ein Borstenwurm nach ihm benannt. Der "Welt" scheint diese Art des Gedenkens jedenfalls zu gefallen und hat gut gelaunt darüber geschrieben.
Liebe Hörer, wir unterstellen, dass Sie während der Feiertage lecker gegessen haben…
Aber nicht so hemmungslos, dass Sie beim Aufschlagen der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Augen niederschlagen müssten.
Und zur Bebilderung dient ein Motiv aus dem Film "Das große Fressen": Schöne im rutschenden Negligé hockt inmitten erlesener Speisen und frönt der ungezügelten Völlerei.
Tatsächlich untersucht der Literaturwissenschaftler Thomas Strässle die Gier als die "derzeitige Spitzenreiterin unter den Untugenden".
Dabei erwähnt der SZ-Autor, dass Leonardo DiCaprio schon mal im Privatjet nach Davos düst, um vor der versammelten kapitalistischen Weltelite die "´Gier der Kohle-, Gas- und Erdölindustrie`" zu beklagen.
Strässle zitiert ebenfalls die Warnung von Papst Franziskus, die Menschheit könne sich "´aus materieller Gier und mangelndem Gerechtigkeitssinn auslöschen`".
In der Hauptsache allerdings geht es Strässle um eine sprachliche Nuance:
"Man hat Interesse an etwas, findet Vergnügen an etwas, Genuss an etwas, (…), ja man hat sogar Ekel an etwas oder Überdruss an etwas – aber man verspürt immer eine Gier nach etwas. ´An` ist statisch, ´nach` dynamisch. Steckt in der einen Präposition (´an`) das Verweilen, die Kontemplation, auch die Distanz und die Kontrolle, so steckt in der anderen (´nach`) der Exzess und die Ekstase – und die Intensität einer Erfahrung, auch wenn sie lasterhaft sein mag."
Wer hier eine gelinde Ehrenrettung der Gier wittert, liegt wohl nicht ganz falsch. Immerhin resümiert der SZ-Autor Strässle:
"Man mag viele Einwände haben gegen die Gier, eines ist sie bestimmt nicht: eine Form der Saturiertheit. Den Hunger kann man stillen, nicht aber die Gier."

Kognitionsforscher Joscha Bach über Mensch und Maschine

Ob auch künstliche Intelligenz so etwas wie Gier kennt, das wissen wir nicht.
Wohl aber, dass der Kognitionsforscher Joscha Bach im Gespräch mit Meike Laaf von der TAGESZEITUNG behauptet: Die Art und Weise, wie Menschen und Maschinen denken, unterscheide sich kaum.
Bachs Pointe indessen lautet: Die Realität können beide nicht erkennen.
"Das Problem ist, (so Bach), dass wir die echte Welt draußen gar nicht erfahren können. Wir können vom Universum im Grunde nur wissen, dass es regelmäßige Muster erzeugt. Und unser Geist ist ein System, dass in diesen Mustern eine Ordnung findet. Ähnlich, wie künstliche Intelligenzen das tun. (…) Das sind alles Abstraktionen, die die kausalen Zusammenhänge des Universums nicht tatsächlich abbilden, sondern ermöglichen, sie für uns vorhersagbar zu machen."
Wer einige Proseminare in Philosophie absolviert hat, dürfte bemerken:
Was Bach hier vorträgt, ist eine Reformulierung von Immanuel Kants Einsicht, dass uns das "Ding an sich" stets unerkennbar bleibt – was man innerhalb des wissenschaftlichen Realismus‘ ganz anders sieht.

Die Ausstellung "Rock Fossils" in Chemnitz

Bevor jetzt aber alle abschalten, denen erkenntnistheoretische Probleme schnuppe sind, und wir mit uns allein bleiben, kümmern wir uns lieber um etwas Nettes.
Bestens gelaunt berichtet Michael Pilz unter dem Titel "Motörwurm" in der Tageszeitung DIE WELT über die Ausstellung "Rock Fossils":
Das Naturkundemuseum Chemnitz zeigt Fossilien, die nach legendären Musikern benannt wurden…
Darunter der Einsiedlerkrebs Mesoparapylocheles michaeljacksoni, den man am Tag nach Michael Jacksons Tod entdeckt hat, und den Borstenwurm Kalloprion kilmisteri, benannt nach dem ebenfalls verstorbenen Lemmy Kilmister von der Band Motörhead.
Wir sagen nach der Lektüre des wunderbaren Artikels: Liebe musikaffine Naturfreunde, genauso liebe naturliebende Musikfreunde – ab nach Chemnitz, Rock-Würmer und Pop-Schnecken gucken!

Mozarts erste Sonate in Wien

Auf andere Art faszinierend: Alma Deutscher! Laut SÜDDEUTSCHE ZEITUNG eine "Reinkarnation" Mozarts: erste Sonate mit sechs, nun, mit elf, Aufführung der ersten eigenen Oper in Wien.
Falls Sie aus dem abgerissenen Stil schließen, dass unsere Zeit um ist, bestätigen wir Ihnen mit einer Überschrift aus der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: Sie haben…
"Ins Schwarze getroffen."
Mehr zum Thema