Aus den Feuilletons

"Die klassische Musik hat ein Sexismusproblem"

Die Musiker der Staatskapelle Berlin und Dirigent Daniel Barenboim – hier beim Open Air Konzert "Staatsoper für alle" im Juli 2016
Die Musiker der Staatskapelle Berlin und Dirigent Daniel Barenboim – hier beim Open Air Konzert "Staatsoper für alle" im Juli 2016 © (c) dpa
Von Hans von Trotha · 09.01.2017
Die "Süddeutsche Zeitung" widmet sich der Geschlechterkluft in Kunst und Kultur, die in den Orchestern offenbar besonders groß ist. Der Deutsche Kulturrat zeigt sich deswegen besorgt und wünscht sich eine Welt, in der auch Mädchen "Musik-Nerds" sein können.
"Ich bin einer der wenigen Prominenten, die 2016 überlebt haben."
Das ist natürlich ein Zitat. Und jetzt kann jeder in sich gehen, wem er diesen Satz zutraut. Tipp: Es war im Radio, und es handelt sich um die - Zitat SÜDDEUTSCHE: "größte Ich-AG Deutschlands."
Nein, nicht Sigmar Gabriel – auch wenn sogar der seinen Weg in den Kulturteil gefunden hat, konkret in den der FAZ, und das mit Äußerungen zum ureigenen Thema der Kulturteile: nämlich zur Kultur.
"Wer", sinniert Christian Geyer, "wie Sigmar Gabriel den Kampf gegen den Islamismus ausdrücklich 'auch kulturell und intellektuell' führen will, wer also zum 'kulturellen Kampf' gegen den islamistischen Terror aufruft, der kann eine Religionsdebatte im Ernst nicht vermeiden wollen."
"Ob", fragt Geyer, "Gabriel die religionspolitische Brisanz seines kulturellen Kampfrufs begriffen hat?"
Was aber ist Kultur? Kampfsport nicht, zumindest nicht im engeren Sinne. Sagt Meryl Streep. Bei der Golden Globe Verleihung, bei der der Film La la Land abräumte, den Manuel Brug in der WELT ausführlich "La la langweilig" findet, sagte sie, wie mehrere Feuilletons zitieren, angesichts der Ausländer in Hollywood: "Wenn man all diese Leute rauswirft, dann könnt ihr nur noch Football gucken und Mixed Martial Arts." – "Which are not the arts", fügte sie hinzu – ein Hinweis, der Donald Trump an jenem Körperteil vorbeiwehen dürfte, mit dem er in wenigen Tagen auf dem Sessel des mächtigsten Mannes der Welt Platz zu nehmen gedenkt.
Denn auch das gehört zur Kultur – dass sie wichtig ist, dass sie in vielem alles ist, dass ihr Einfluss aber oft begrenzt bleibt. Oder doch nicht? Gerade der Film? – Auf die Frage, ob das Kino die Fähigkeit habe, etwas zu bewirken, sagt der Regisseur Paolo Sorrentino der WELT:
"Es hat definitiv die Macht, etwas zu bewirken. (…) Wirklich gutes Kino hat eine Kraft, die man nicht aufhalten kann."
Seit er einen Oscar gewonnen habe, erzählt Sarrentino, würden sie ihn "Maestro" nennen. – "Er meint zwar, er verstünde nicht warum, aber dass es ihm durchaus gefalle."

"Wie Verhältnisse schaffen, in denen Mädchen Musik-Nerds sein dürfen?"

A propos Maestro. Kein Kulturbegriff ohne Musik. Und eigentlich beschäftigt sich mit der Frage, was Kultur ist, bei uns auch gar nicht das Feuilleton, sondern die dafür zuständige behördliche Institution: Und das ist der deutsche Kulturrat. Der hat nun festgestellt:
"Kaum eine Kulturbranche ist so diskriminierend wie die klassische Musik."
Von wegen Maestra. "Die klassische Musik hat ein Sexismusproblem", konstatiert Simon Tönies in der SÜDDEUTSCHEN. "Die Geschlechterkluft in Kunst und Kultur", zitiert er den Kulturrat, "gibt es nach wie vor, doch in der klassischen Musik ist sie besonders tief." Und er fragt: "Wie kann man Verhältnisse schaffen, in denen Mädchen Musik-Nerds sein dürfen?"
Oder, könnte man weiter fragen, in denen die einzig überlebende weibliche Prominente eines Jahrgangs im Radio machen darf, was sie will?
Das nämlich darf die eingangs erwähnte Ich-AG. Womit wer noch einmal bei der Radiokultur wären. Die FAZ echot angesichts des Comebacks ironisch: "Gottschall". Da ist es fast raus. Ja, jubelt die FAZ verhalten: "Zurück im Radio kommt Gottschalk bei sich selbst an."
Hans Hoff hat für die SÜDDEUTSCHE zugehört:
"Früher erzählte auf Familienfeiern Opa vom Krieg. Heute kommt Thomas Gottschalk und erzählt von den Sechzigern, als ihn irgendeine Sheila sitzen gelassen hat, und er Trost bei einem Song von Status Quo fand. Ja, das Früher, das ist sein Ding, jetzt, wo er einmal im Monat drei Stunden bei Bayern 1 am Mikrofon stehen und alles spielen und sagen darf, was er will. (…) Macht er halt das Beste draus und spielt viele Hits von Menschen mit schlechten Frisuren, von Toten und eben von Status Quo, was mehrfach aufs Gleiche rauskommt. Und natürlich gedenkt er angesichts der vielen verstorbenen Größen von 2016 vor allem der eigenen Endlichkeit."
Und wir können uns jetzt schön überlegen, wem jeder von uns, aber bitte eine Frau, Anfang 2018 am Liebsten freie Schnauze vor dem Radiomikrofon geben würde.
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