Aus den Feuilletons

"Die Brandstifter von Pegida und AfD"

Pegida-Demonstranten haben sich am 19.10.2015 in Dresden (Sachsen) versammelt.
Pegida-Demonstranten in Dresden © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Tobias Wenzel · 29.10.2015
Klare Worte im Tagesspiegel: Der Journalist Michael Jürgs kritisiert Pegida und AfD und fordert entschiedenes Eintreten der Zivilgesellschaft - eines der Themen in der Kulturpresseschau.
"Vielleicht treten wir doch gerade in eine neue Ära des Umgangs mit den Toten ein", sagt Thomas Laqueur im Interview mit Johan Schloemann von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Laqueur hat ein kulturgeschichtliches Buch über die Beziehung zwischen Menschen und sterblichen Überresten geschrieben. Auf die Zukunft angesprochen, formuliert Laqueur folgende These:
"Der größte Kulturbruch könnte dadurch entstehen, dass wir uns unter dem Eindruck von neuester Medizin und Genforschung zunehmend nicht mehr eingestehen, dass wir überhaupt sterben müssen."
Vielleicht denken genau das schon jetzt die Anhänger von Pegida und AfD: dass nicht nur sie selbst unsterblich sind, sondern – oh, Schreck! – auch die Flüchtlinge. Das jedenfalls würde viel erklären ...
"Gegen die Polit-Hooligans von Pegida und AfD braucht es jede Stimme, die der Zivilgesellschaft und ebenso die der Medien", schreibt Michael Jürgs im TAGESSPIEGEL und fordert einen "Patriotismus der Demokraten".
"In den Bürgerbräukeller der Nation"
Jürgs erinnert an die beiden Hauptredner des Hambacher Festes, das am 27. Mai 1832 begann, an die Journalisten und Verleger Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth, die zusammen mit der Menschenmenge für nationale Einheit, Freiheit und Volkssouveränität demonstrierten. Mit den Farben Schwarz-Rot-Gold.
Siebenpfeiffer und Wirth, für Jürgs wahre patriotische Demokraten, kamen ins Zuchthaus. Sie hatten unter anderem verkündet: "Die freie Presse ist die Schutzwehr der Völker gegen die Tyrannei der Machthaber." Die beiden, schreibt Michael Jürgs abschließend im TAGESSPIEGEL, hätten "einen Platz in einer Ruhmeshalle der Deutschen" verdient.
"Die Brandstifter von AfD und Pegida dagegen, die sich als Biedermänner tarnen, gehören in die Bürgerbräukeller der Nation."
Nicht geschichtlich, sondern philosophisch geht Andreas Zielcke in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG das Flüchtlingsthema an. Seine Prophezeiung: Langfristig wird es auf der ganzen Welt auf "offene Grenzen" hinauslaufen. "Es geht um Folgerichtigkeit, nicht Traumtänzerei", schreibt er und nennt mehrere Argumente für offene Grenzen, bis er schließlich bei den Philosophen Immanuel Kant und Jürgen Habermas angelangt ist. Letzteren paraphrasiert und zitiert er so:
"Es gibt keine Fremden nur jenseits der Grenze. Wir können uns selbst nur identifizieren, indem wir uns zugleich durch 'gegenseitige Perspektivenübernahmen' als Fremde unter Fremden wahrnehmen."
"Antidemokraten fürchten das gedruckte Wort"
Und nun ausschließlich in den Originalworten von Jürgen Habermas:
"Der selbstreflexiv gewordene Universalismus assimiliert den jeweils Anderen nicht ans Eigene, sondern geht von der Prämisse aus, dass jeder für den Anderen ein Anderer ist – und bleiben will."
"Unter uns Fremden" lautet folgerichtig die Überschrift zu diesem SZ-Artikel.
Stellen Sie, liebe Hörer, sich auch gerade vor, wie ein Pegida-Anhänger versucht, sich mit Habermas als Fremder im eigenen Land zu fühlen, um dann die Flüchtlinge und andere Ausländer als ebenfalls Fremde, also Gleiche umarmen zu können?
Habermas täte wohl auch der russischen Antiterrorpolizei gut, die, schwerbewaffnet und maskiert, eine Bibliothek für ukrainische Literatur in Moskau gestürmt hat. Der Artikel von Kerstin Holm in der FAZ sei allen empfohlen, die Absurdes lieben und noch einen Beleg dafür brauchen, dass Antidemokraten das gedruckte Wort fürchten.
Zum Schluss der Kulturpresseschau dann aber doch lieber etwas Unpolitisches. Also noch einmal der Todes- und Gedenkforscher Thomas Laqueur. "Sie haben sich jetzt mehrere Jahre mit Leichen und Friedhöfen beschäftigt. Hat sich das nicht mitunter makaber angefühlt?", fragt die SZ. Laqueurs Antwort: "Nein. Ich habe vorher zwei Bücher über Sex geschrieben und ich bin nicht sexueller geworden als zuvor."
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