Aus den Feuilletons

Dichtung und Gesamtwahrheit

Zeitgenössisches Porträt des deutschen Staatsmanns Otto von Bismarck (1815-1898).
Schon Bismarck verwies auf die Bedeutung der Lüge vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd. © picture alliance / Bibliographisches Institut & F.A
Von Paul Stänner · 23.01.2017
Aus gegebenem Anlass präsentiert uns die "Taz" eine Geschichte der Lüge. Während wir in der FAZ erfahren, dass es neben postfaktischer und alternativer Wahrheit eben auch eine "Gesamtwahrheit" gibt, die Journalisten leider nur selten sehen.
Der bayerische Rundfunk möchte bayerisch sein. So richtig bayrisch. Dazu ändert er sein Programm, meldet die Süddeutsche Zeitung, die das ja interessieren muss. Da wird es eine neue Reihe geben mit dem Titel "Kommissar Pascha", was so wahnsinnig bayrisch klingt, dass man denken könnte, Horst Seehofer übernimmt die Titelrolle. Außerdem wird es noch eine Serie geben mit dem Titel "Willkommen in Hindafing" und noch eine, die "Das Verschwinden" heißt. Das erscheint irgendwie identisch, sind aber zwei getrennte Sendungen.
Dazu soll es ein Dokumentarformat geben unter dem Titel "B12 – Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens". Darin werden Menschen gezeigt, die in einem Rasthaus an einer Bundesstraße zusammenkommen. Was in Bayern wohl der gewöhnliche Ort ist, um den Sinn des Lebens zu suchen.

Antisemitismus ausgeklammert?

Immer noch München: Der tief bayrische BR hat am vergangenen Wochenende fünf Wiederholungen gesendet, um den Schriftsteller Ludwig Thoma zum 150. Geburtstag zu ehren. Der BR begründete das mit dem Satz: "Dessen pointierte Beschreibungen haben bis heute nichts von ihrem Humor verloren!".
Jetzt kommt aber Patrick Bahners in der FAZ und fragt provozierend unschuldig, ob das auch für folgende Beschreibung gelte – Zitat Thoma:
"Wanzen, Läuse, Flöhe kriechen und hüpfen um diese Menschen; in ganz Deutschland gab es keinen räudigen Hund, der so voll Ungeziefer war wie hier der reichste Jude oder der Rabbiner."

Deutsche Journalisten wollen die "Gesamtwahrheit" nicht sehen - findet Peking

Da hat der BR wohl nicht die "Gesamtwahrheit" gesehen. Dieses Wort "Gesamtwahrheit" hat ebenfalls in der FAZ Friederike Böge während einer China-Reise gelernt. Eigentlich hatte diese Reise unter der Schirmherrschaft des Auswärtigen Amtes dem deutsch-chinesischen Kulturaustausch in Fragen des faktentreuen Journalismus gegolten, aber dazu kam es nicht so richtig. Weil die deutschen Journalisten nicht die "Gesamtwahrheit" sehen wollten. Die sähen immer nur die Bakterien im Gras, nicht aber das schöne Grün, das die Regierung in Peking so gern sieht.
Nachdem wir gerade gestern gelernt haben, dass es nach Trumpscher Lesart neben hässlichen Fakten auch schöne alternative Fakten gibt, lernen wir heute, dass es eine gut anzuschauende Gesamtwahrheit gibt. Die Welt wird immer doofer.

Die Geschichte der Lüge

Da wir gerade beim Thema sind: Die taz hat unter der Überschrift "Machiavelli wäre stolz" eine tour d'horizon durch die Geschichte der Lüge gemacht. Arno Frank konstatiert:
"Täuschung und Arglist sind in der sozialen DNA des Menschen ebenso verankert wie die Abscheu vor dem Lügner."
Und er verweist auf den erfahrenen Bismarck, der gesagt haben soll, nirgends werde so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Kriegs und nach der Jagd. Frank bringt viele Beispiele, in denen Lügen Kriege eingeleitet haben und kommt dann, wie in diesen Tagen unvermeidlich, auf Donald Trump:
"Problematisch ist, dass sich die Lüge auf dem intellektuellen Niveau eines Halbwüchsigen befindet, der sich auf Teufel komm raus im besten Licht dargestellt wissen will."
Aber damit tut er dem Machiavelli unrecht – auf so einen primitiven Schwätzer wäre dieser niemals stolz gewesen.

Trump und Brexit waren Tritte in den Hintern

Wir bleiben bei den Lügen und können doch Tröstliches anfügen: Die taz zitiert den "Roxy Music"-Mitbegründer Brian Eno mit einem weitsichtigen Statement:
"Ich muss sagen, inzwischen freue ich mich irgendwie über Trump und den Brexit. Das waren Tritte in den Hintern, die wir brauchten, weil wir sonst nämlich nicht auf die Idee gekommen wären, je irgendetwas ändern zu müssen. Trump ist die Chance auf einen anständigen Absturz und eine echte Chance, wirklich umzudenken."
Möge das die Gesamtwahrheit sein!
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