Aus den Feuilletons

Das Elbflorenz und seine Fremden

Dresden
Dresden von der Spitze der Frauenkirche aus gesehen. Mit Blick auf die Augustusbrücke. © picture alliance / dpa / Foto: Daniel Gammert
Von Klaus Pokatzky  · 31.01.2015
In der "SZ" schreibt der Schriftsteller Ingo Schulze über seine Pegida-Erlebnisse. Er stellt fest: "Ich sehe tatsächlich fast nur Männer." Auch der "Spiegel" widmet sich noch einmal dem Elbflorenz und versucht zu ergründen, warum einige Dresdner mit Fremden fremdeln.
"Die Stimmung hat etwas von einem Männertagsausflug im Winter."
Das war in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu lesen.
"Ich sehe tatsächlich fast nur Männer, die meisten sind noch älter als ich",
schreibt Ingo Schulze, im rüstigen Alter von 52 Jahren.
"Die Jugend, sagt vorwurfsvoll einer der Alten, habe noch nicht kapiert, dass es ja hier um ihre Zukunft gehe."
Kein Zweifel: Ingo Schulze berichtet von einer Dresdner Pegida-Kundgebung, zu der Junge eben eher nicht gehen, weil sie wissen, dass sie dringend auf gleichaltrige Zuwanderer angewiesen sind, wenn sie einst eine solche Rente in Anspruch nehmen wollen, die die Pegida-Rentner in Dresden beziehen können.
"Sie machen mir eine Gänsehaut. Ist es die Heiterkeit, die fehlt, die Offenheit, die es 1989 trotz der Angst gab?",
fragt Ingo Schulze – und wir fragen uns, warum es so lange gedauert hat, bis endlich einmal einer der bekanntesten Dresdner Schriftsteller sich in einem Feuilleton zu Pegida äußert: eine Woche, nachdem er das allerdings schon im Radio getan hatte; in unserem Programm natürlich.
"Für konservative und regierende Parteien sind Pegida-Demonstranten eine bequeme Opposition",
schrieb er noch in der SÜDDEUTSCHEN.
"Pegida sind die nützlichen Idioten. Mit dem Hinweis auf sie können Gesetze verschärft und kann grundsätzliche Opposition diskreditiert werden."
DER SPIEGEL hat sich ins Elbflorenz aufgemacht.
"Dresden gilt als ´schön` und ´gemütlich`, die Stadt sei aber ´nicht multikulturell`, ´nicht dynamisch`, so lautet das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2006",
erfuhren wir von Susanne Beyer, die Einblicke gab in das Bürgertum in netten Elbvillen, das sich auch zu DDR-Zeiten, wie kaum sonst im Sozialismus, erhalten hat – und die dann Winfried Müller zitierte, Professor für Sächsische Landesgeschichte an der Technischen Universität Dresden:
Der Dresdner ´Stadt-Habitus`, so nennt er das, sei nicht ´bürgerlich-diskursiv` gewesen, sondern ´höfisch-repräsentativ`."
August der Starke lässt grüßen.
"Und dann kamen lauter Leute nach Dresden, die kein Sächsisch sprachen, die Westdeutschen, die dauernd alles besser wussten, die Dresdner waren irritiert in ihrem Stolz und reagierten mit einem vertrauten Muster: Reserviertheit, Distanz. Muslime, vor denen sich Pegida-Anhänger so fürchten, gibt es in Sachsen kaum, es sind nicht mal ein Prozent. Vielleicht waren für Pegida-Anhänger die anderen Fremden schon unerträglich genug: die Westdeutschen."
Kölner Karneval und Verkleidungsparty
"Auch Christen verstricken sich in seltsame Widersprüche",
erfuhren wir aus Christ und Welt, der Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT.
"Im Karneval steht die Welt Kopf, die, die im übrigen Jahr die Macht haben, werden zum Gegenstand des Spottes."
Das schrieb die PastorinPetra Bahr in ihrer Ratgeberspalte "Haltung, Bitte!" – nachdem eine Schülerin im Teenie-Alter wissen wollte, ob sie denn zu einer Verkleidungsparty in ihrer Schule darf – wo doch ihr Glauben den Karneval verbietet. Die junge Dame ist allerdings nicht muslimischen, sondern evangelisch-freikirchlichen Glaubens.
"Der christliche Glaube ist keine Aneinanderreihung von Tabus, Verboten und Abstandshaltern",
antwortet die PastorinPetra Bahr.
"Aus ihm entwickelt sich eine innere Unabhängigkeit. Tusch. Dreifach.
Das ist nicht lustig",
fand die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
"Erst wollte das Kölner Karnevals-Komitee die Meinungsfreiheit, ohne die es bekanntlich auch keine Narrenfreiheit gibt, am Rosenmontag groß auf den Schild heben: mit einem Motivwagen zu ´Charlie Hebdo`."
Und dann wurde der Wagen bekanntlich abgesagt.
"Glaubt wirklich irgendjemand",
lasen wir in der BERLINER ZEITUNG,
"dass diesem Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen und Religionen, auf das Köln zu Recht stolz ist, ein Dienst erwiesen wird, wenn nicht mehr gegen Terroristen Stellung bezogen werden darf, die genau dieses Zusammenleben zerstören wollen?",
fragte Heiko Sakurai, der politische Karikaturist der Berliner Zeitung.
Dschihad im Internet
"Wir sind im Zeitalter des Cyber-Dschihad angekommen",
sagte der französische Journalist David Thomson.
"Heute hat die Hälfte der Regierungsmitglieder des Islamischen Staates Facebook-Profile."
David Thomson von Radio France Internationale hat ein Buch geschrieben über junge Franzosen, die als Terroristen nach Syrien gegangen sind; junge Menschen,
"die den Islam und den Dschihad im Internet und den sozialen Netzwerken entdeckt haben, ohne dass ihre Eltern etwas davon mitbekommen hätten, weit entfernt von den Moscheen Frankreichs."
Und dasieht er kaum Hoffnung:
"Es ist unkontrollierbar. Für einen gelöschten Twitter-Account kommen fünf neue hinzu. Und: Die Behörden sind machtlos. Wir müssen lernen, für die nächsten zehn bis 20 Jahre damit zu leben. Es wird mehr Attentate wie in Paris geben."
Karikaturist Klaus Stuttmann macht weiter
Und wie zeichnen deutsche Karikaturisten nach dem "Charlie Hebdo"-Anschlag?
"Vor neun Jahren hatte Tagesspiegel-Karikaturist Klaus Stuttmann nach Drohungen untertauchen müssen",
erinnerte der Berliner TAGESSPIEGEL:
"Wegen einer Karikatur, in der vier iranische Fußballspieler mit Sprengstoffgürteln zu sehen waren. Damals habe die Bedrohung abstrakt gewirkt, nach ´Charlie Hebdo` sei sie im Nachhinein viel realer", sagt er.
Das schrieben Tatjana Kerschbaumer und Kurt Sagatz. Ihr Karikaturist Klaus Stuttmann macht weiter so – und sagt:
"Wenn ich da einknicke, muss ich einen ganzen Teil der Weltpolitik ausklammern. Das kann nicht sein."
Tusch. Vierfach.
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