Aus den Feuilletons

Castorfs "abgefuckte" SM-Orgie

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Szenenbild aus "Pastor Ephraim Magnus" in der Regie von Frank Castorf am Deutschen Schauspielhaus Hamburg © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Von Tobias Wenzel · 22.03.2015
Der frühere Theaterrevolutionär Frank Castorf sei museal und vorhersehbar geworden, klagt die "taz". Die "SZ" kritisiert Castorfs Hamburger Inszenierung von Hans Henny Jahnns "Pastor Ephraim Magnus" als "kaputt-abgefuckte SM-Orgie".
"Herr Küppersbusch, was war schlecht in der vergangenen Woche?",
fragt die TAZ ihren Stammzyniker. Und der antwortet:
"Vor lauter Griechen-doof-Finden kaum noch Zeit zum Auf-Putin-Einhassen."
Als hätte er sich mit Friedrich Küppersbusch abgesprochen, liefert, ebenfalls in der TAZ, Klaus-Helge Donath die Munition für den eingeforderten Hass. Donath hat nämlich die Moskauer Autorin Alissa Ganijewa gefragt, wie sie die Lage der russischen Gesellschaft einschätzt. Ganijewa geht mit ihren Landsleuten hart ins Gericht. Die Angepassten gäben auch unter den jüngeren Russen den Ton an. Andere Standpunkte als die eigenen würden schnell als "bezahlt" bezeichnet:
Die Angepassten geben in Russland den Ton an
"Dass Nachdenken zu einer anderen Haltung verhelfen kann, glauben nur wenige. Die Mehrheit ist fest von dem überzeugt, was im Fernsehen erzählt wird. Das ist sehr gefährlich und droht in Fanatismus umzuschlagen."
Nach 25 Jahren würden sich russische "Taxifahrer, Verkäufer, Friseure" plötzlich wieder für Politik interessieren:
"Alle sprechen davon, wie Putin Russland rettet. Obwohl sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert und die Preise steigen. Das schweißt die Menschen noch weiter gegen den ‚äußeren Feind‘ zusammen."
Interviewer Donath wiederum erinnert daran, dass Putin seine politischen Gegner "Landesverräter" nennt.
Andere nennen ihre Gegner "Gutmenschen". Oder sie versuchen, wie der nun in einer Reklame für die Wochenzeitung "Die Zeit" zitierte Harald Martenstein, diesen oft von Rassisten gebrauchten Begriff wieder "zurückzuerobern". Interpretiert jedenfalls Matthias Heine in seiner "Wortgeschichte" für die WELT.
"Diese 'guten Menschen' – sie sind allesamt jetzt in Grund und Boden vermoralisiert und in Hinsicht auf Ehrlichkeit zuschanden gemacht",
heißt es schon bei Friedrich Nietzsche. Matthias Heine vermutet, dass die Nazis vielleicht dieses Nietzsche-Zitat kannten. Aber die Behauptung, sie hätten das Wort "Gutmensch" in seinem abfälligen Sinn erfunden, lasse sich kaum beweisen. Klar sei dagegen: "In den letzten 15 Jahren ist es allmählich in den Besitz politischer Gruppierungen übergegangen, deren Spektrum von dümmeren Teilen der FDP über Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci bis zu Rechtsextremen reicht."
Castorf schlägt Hamburger Publikum k.o.
Ihr Liebling, Adolf Hitler also, taucht als Parodie kurz in Frank Castorfs Hamburger Inszenierung von Hans Henny Jahnns Stück "Pastor Ephraim Magnus" auf. Castorf habe es in "eine gut fünfstündige kaputt-abgefuckte wie lebensgierige SM-Orgie verwandelt", schreibt Peter Laudenbach in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
"Der Regisseur siegt durch K.-o. über sein Publikum, das, sofern es nicht in der Pause floh, fürs Buhgeschrei keine Kraft mehr hat, die Schauspieler jedoch verdient bejubelt",
findet Kerstin Holm in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Alexander Kohlmann wirkt merklich genervt, wenn er in der TAZ über Castorfs Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus schreibt:
"Wir erleben die gewohnten Versatzstücke einer Regiehandschrift, die einst revolutionäres Potenzial besaß. Und immer noch zu beeindrucken weiß – allerdings in ihrer kompletten Vorhersehbarkeit inzwischen auch anstrengend museal daherkommt."
Kohlmann wundert sich über die "seltsam werktreue Inszenierung“ Castorfs:
"Da wird brav gehurt und gemordet. Frauen mit blonden Perücken und Lackkostümen erinnern an Quentin Tarantino und David Lynch."
Damit Sie, liebe Hörer, von diesem Morden im SM-Look keine schlimmen Albträume bekommen, zum Schluss noch schöne Lyrik. Der junge Dichter David Krause hat den Darmstädter Leonce-und-Lena-Preis erhalten. Beate Tröger zeigt sich in der FAZ angetan von Krauses melancholischen Versen:
"der film über vater und mutter / zeigt beide nur einen moment, dann / schwenkt die kamera fort / zur weißen wand / hinter der wand ein kind. sein lachen / wie von einem mit schnee / überspielten tonband."
Mehr zum Thema