Aus den Feuilletons

Burka - umkämpftes Kleidungsstück

Eine afghanische Frau in Herat trägt eine Burka.
Burka, Burkini, Kopftuch - die Verhüllung der (muslimischen) Frau ist in Europa zutiefst umstritten. © picture alliance / dpa / Jalil Rezayee
Von Adelheid Wedel · 27.08.2016
Der Streit um das Verbot von Burka und Burkini hat in den vergangenen Tagen an Schärfe zugenommen. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Ist ein Verbot paternalistisch, wie Julia Bähr in der "Frankfurter Allgemeinen" schreibt? Oder bedroht die Vollverschleierung das Fundament von Europas Kultur, wie Kerstin Holm, ebenfalls in der FAZ, argumentiert?
Die Diskussion über das Burka-Verbot gewann in der vorigen Woche immer mehr an Heftigkeit. Zunehmend kamen dabei auch Frauen zu Wort, um deren Bekleidung es ja schließlich geht. Im schnellen Fantasietrip stelle ich mir Männergesichter zwangsverschleiert vor und beginne lieber nicht, mir die Folgen auszumalen. Zurück also zu den Frauen, zum Beispiel zur pakistanischen Journalistin Meera Jamal, die vor einigen Jahren aus ihrer Heimat Pakistan floh und heute in Kassel lebt. Sie schreibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom Dienstag: "Einige behaupten sogar, dass die Burka eine persönliche Entscheidung ist. Ich sehe das anders." Sie befürwortet das Verbot der Vollverschleierung als "Vorsichtsmaßnahme gegen Terroranschläge und eine Grundvoraussetzung für ein sichereres Deutschland".
Die unterschiedlichen Meinungen zur Burka nehmen am Mittwoch Fahrt auf, spannend zu verfolgen, wie die Diskussion weit über dieses Kleidungsstück hinauswächst. So verweist Kerstin Holm in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG darauf, dass die Burka auch eine Zuflucht vor den Zumutungen des realen Lebens bietet. "Die Flucht vor dem Leben in die Anonymität der Burka dürfen wir nicht tolerieren", fordert die Autorin. Und weiter: "Die Vollverschleierung bedroht das Fundament von Europas Kultur. Die Burka macht aus den Frauen in der Öffentlichkeit ein wandelndes Zelt. Eine liberale Gesellschaft, die darauf angewiesen ist, dass ihre Mitglieder im offenen Austausch eine Balance miteinander finden, wird von solchen schwarzen Löchern von innen zerfressen."

"Man kann niemanden zur Freiheit zwingen"

Die Polizei von Cannes kontrolliert den Strand von Cannes.
© picture alliance / dpa - Patrice Lapoirie
Ganz nüchtern hingegen stellt Julia Bähr in der FAZ fest: "Es gibt einen guten Grund, der gegen ein Burka-Verbot spricht: Frauen dürfen hier anziehen, was sie wollen, ob das nun religiös geprägt ist oder nicht. Ein Verbot wäre genauso paternalistisch wie der Zwang zur Vollverschleierung. Man kann jedoch niemanden zur Freiheit zwingen, so traurig das ist." Eine neue Sicht entwickelt Susan Vahabzadeh in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, indem sie das orientalische Kleidungsstück in eine Reihe mit Kopftüchern und Korsetts stellt. Das alles ist "Verrat an den Frauen". Ihr verblüffender Vergleich: "Für Frauen wurden immer wieder Kleider erfunden, die ihre Bewegungsfreiheit einschränken, ... als sei das oberste Gebot aller Mode, jede Flucht zu unterbinden: von den gebundenen Füßen in China über europäische Korsetts und Reifröcke bis zu Abaya, Niqab und Burka."
Den traurigen Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Bedeckung des weiblichen Körpers brachten die Feuilletons vom Freitag in einem Bild, das zunächst Sommer vorführt, "Strand, Sonne, Meer ... Und dann sind Polizisten da. Sie zwingen eine Frau, sich zu entkleiden. Ganz gleich, wie lange man das Foto fixiert, es will einfach nicht gelingen, darin ein Symbol unserer Freiheit zu sehen", schreibt Andreas Rosenfelder in der WELT. "Das Bild ist schlimm, es ist ein wirkliches Schauspiel der Angst, aufgeführt in aller Öffentlichkeit und am helllichten Tage. Wir sehen den erzwungenen Striptease einer sitzenden Frau, von vier bewaffneten Männern umstanden und von einem sonnenbadenden Zufallspublikum betrachtet - eine zutiefst beschämende Szene."

"Nicht länger behaupten, der Islam sei eine friedliche Religion"

Blick in die Merkez-Moschee, Zentralmoschee von Ditib in Duisburg - zu sehen sind eine Kuppel und ein Kronleuchter.
Die Merkez-Moschee, Zentralmoschee von Ditib in Duisburg© dpa / Revierfoto
Unter anderem solche Szenen zwingen uns, über den Tellerrand unseres europäischen Blickwinkels hinaus zu schauen. Wir müssen erfahren, was genau ist der Islam, wohin bewegt sich dieser jahrhundertealte Glaube in der Gegenwart? Die Feuilletons vom Donnerstag geben ausreichend Denkanstöße. Da ist zum einen der Philosoph und Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, der im Gespräch mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG seine kritischen Kernthesen kämpferisch formuliert. Er sagt: "Ich bin davon überzeugt, dass einige Moscheen und Moscheenvereine einen massiven Beitrag zur islamischen Radikalisierung leisten. Ich plädiere für eine strikte Kontrolle (aus dem Ausland) ferngesteuerter Moscheen. Wir dürfen einfach nicht länger behaupten, der Islam sei eine friedliche Religion. Die Realität spricht eine andere Sprache."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gibt der Politologe und Islamwissenschaftler Bassam Tibi, der als 18-jähriger aus Syrien nach Deutschland kam, Hinweise auf Defizite in der deutschen Willkommenskultur. Er führt aus: "Heute kann ich besser verstehen, wie schwer die Menschen aus dem Nahen Osten es haben, sich in eine kulturell fremde Umwelt einzufügen. In Europa wird der Mensch als Individuum oder als Rechtssubjekt eingeordnet, nicht als Mitglied eines ethnischen oder religiösen Kollektivs. Diese jugendlichen Migranten, die aus der psychologischen Sicherheit des Kollektivs herausgerissen werden, erhalten von der Aufnahmegesellschaft keinen Ersatz für das, was sie eingebüßt haben. Die Folgen sind Identitätsprobleme. Deutsche scheinen diese ihnen kulturell fremde Problematik überhaupt nicht zu verstehen."

Ereignisse in der Türkei aus dem Blickfeld geraten

Ein Plakat mit dem Porträt des türkischen Präsidenten Erdogan bei einer Demonstration in Istanbul
Ein Plakat mit dem Porträt des türkischen Präsidenten Erdogan.© afp / Bulent Kilic
Um die Ereignisse in der Türkei ist es in den Feuilletons ruhiger geworden, bis auf die FAZ am Samstag. Hier gibt der türkische Schriftsteller Dogan Akhanli, der in Köln im Exil lebt, "ein Lehrstück über den Gewaltapparat" seines Heimatlandes. "Der türkischen Justiz kann jeder zum Opfer fallen", klagt er. "Dass ein Staatsanwalt einen Journalisten anklagt, schützt ihn nicht davor, selbst vor der Willkür der Justiz fliehen zu müssen. Mit derselben Begründung - wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung und wegen des versuchten Umsturzes der Regierung - hatte er mich zuletzt lebenslänglich im Gefängnis sehen wollen und einen internationalen Haftbefehl gegen mich erwirkt. Nun landete er selbst auf der internationalen Fahndungsliste. Ich glaube, es wäre eine sehr interessante Begegnung, wenn ich mich mit meinem nun auch im Exil in Deutschland lebenden Staatsanwalt träfe", malt sich Akhanli dieses Treffen aus. "Wir könnten über die Willkür, die Arroganz und die derzeitige Situation in unserem Herkunftsland reden und uns austauschen über unsere Erfahrungen mit dem türkischen Gewaltapparat. Er ist ja nun sozusagen mein Schicksalsgenosse."
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