Aus den Feuilletons

Albern und erzürnt

Kämpfende Ritter
Kämpfende Ritter © Eine Zeichnung aus dem Turnierbuch "Freydal" zeigt den Ritter Maximilian (l) im Kampf mit einem Gegner zu sehen.
Von Arno Orzessek  · 08.07.2014
In der "FAZ" geht der israelische Schriftsteller David Grossman mit seinem Heimatland hart ins Gericht. Die "Süddeutsche" freut sich über unverwüstliches Blech und "Die Welt" titelt Albernheiten.
Nein, wir beginnen nicht mit Fußball! Sondern im Gegenteil mit dem "Turnier ohne Ball", mit dem sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG befasst. Unter dem Foto eines imposant-unheimlichen Harnischs, den Sigmund von Tirol Ende des 15. Jahrhunderts bei Turnieren angelegt hat, heißt es kindlich begeistert:
"Es scheppert gewaltig, wenn zwei Ritter aufeinanderkrachen. Die beiden Geharnischten und ihre Pferde haben zusammen das Gewicht eines Opel Corsa. Gut 1,2 Tonnen. Sobald sie mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs sind – ein gut trainiertes Turnierross bringt schon mal 50 Kilometer pro Stunde aufs Hufeisen –, gibt es kein Halten mehr. Die Lanze birst, die Reiter kippen aus dem Sattel, das Publikum johlt. Jeder Kleinwagen wäre wegen des erheblichen Blechschadens ziemlich schrottreif. Nur die Rüstungen, die bekommen nicht mal eine Delle ab. Sie bestehen aus mehrfach gehärtetem Stahl",
freut sich SZ-Kürzel "RN", das wir auf die Schnelle nicht auflösen können – und zwar anlässlich der Ausstellung "Ritterturnier. Geschichte einer Festkultur" in Schaffhausen.
Bleiben wir beim fröhlichen Rezensionsfeuilleton. In der Tageszeitung DIE WELT bejubelt Manuel Brug die Malerei-Ausstellung "Pontormo und Rosso" im Florentiner Palazzo Strozzi.
"Das Nervöse und das Individuelle, das Vibrierende und das Beruhigende, das Nette und das Erschreckende, das Jähe und das Legere, das Störrische und das Schmeichelnde, das Fahrige und das Fiebrige, solche Eigenschaften sind es wohl, die uns immer noch so voll unverhohlener Neugierde und Spannung auf diese jahrhundertealten, irgendwann unter 'Manierismus' eingeordneten Tafeln blicken lassen."
Tja, was soll man dazu sagen? Wir sagen: Das Substantivische und das Ungefähre, das Gekonnte und das Gewollte, das Manierliche und das Manierierte – solche Eigenschaften sind es wohl, die uns immer wieder voll unverhohlener Neugierde und Spannung den WELT-Autor Manuel Brug lesen lassen.
Vom Stilmittel der Ironie absolut keinen Gebrauch macht der israelische Schriftsteller David Grossman in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Grossman schreibt unter dem Titel "Unsere Verzweiflung ist unser Untergang" einen "Weckruf an die israelische Politik" und betont:
"Der Nahe Osten droht zu explodieren. Wer jetzt noch an den Frieden glaubt, braucht Hoffnung. Genau daran fehlt es."
Letztlich wirft Grossman seinem Land Kleingeisterei vor:
"Es ist empörend, dass die gewaltige Militärmacht, die Israel angehäuft hat, ihm nicht den Mut verleiht, seine Angst und existenzielle Verzweiflung zu überwinden und einen entscheidenden Schritt in Richtung Frieden zu unternehmen. Schließlich besteht die große Idee der Gründung des israelischen Staates darin, dass das jüdische Volk an seine Heimstätte zurückkehrt, wo es niemandem mehr zum Opfer fällt. (…)Und seht uns an: der stärkste Staat der Region, eine Großmacht im regionalen Maßstab, die die fast beispiellose Unterstützung der Vereinigten Staaten, die Sympathie und Verpflichtung Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs genießt. Doch tief im Inneren schaut Israel immer noch auf sich als hilfsloses Opfer herab."
So die harten Worte von David Grossman in der FAZ.
"Die letzten Worte des Historikers Hans-Ulrich Wehler", der am vergangenen Samstag starb, die überbringt in der SZ Willi Winkler.
Aber nicht, weil er noch einmal persönlich mit Wehler gesprochen hätte.
Nein, Winkler hat im neuen STERN das Gespräch nachgelesen, das Wehler wenige Tage vor seinem Tod mit Arno Luik geführt hat – und fasst nun die Highlights zusammen:
"Zur vertrauten Form läuft Wehler auf, wenn er die Ungleichheit in Deutschland kommentiert. (…) Wie in seiner Dankesrede zum Empfang des Lessing-Preises für Kritik (…) empört er sich über die 'Habgier' des obersten Vermögensprozentes, die mangelnde Empathie der Reichen: 'Es gibt eine Hornhaut bei den Besitzenden, eine große Bereitschaft, Dinge, die unangenehm sind, einfach zu ignorieren.'"
Nun denn. Die Lage ist mindestens so ernst wie immer. Mag sein, dass Manchem Albernheit Erleichterung schafft. Die WELT jedenfalls titelt:
"Wir wollen uns auf Spitze im reinsten Kitsche suhlen."