Aus den Feuilletons

Abschied von Pumuckl-Erfinderin Ellis Kaut

Die verstorbene Schriftstellerin Ellis Kaut mit ihrer Kunstfigur des "Pumuckl" in ihrer Wohnung in München.
Die verstorbene Schriftstellerin Ellis Kaut mit ihrer Kunstfigur des "Pumuckl" in ihrer Wohnung in München. © picture alliance / dpa / Istvan Bajzat
Von Hans von Trotha · 24.09.2015
Nach dem Tod von Pumuckl-Erfinderin Ellis Kaut erinnert die "Süddeutsche Zeitung" an den bayerischen Humor der Kinderbuchautorin. Und die "FAZ" berichtet, dass es immer wieder Streit um den Kobold gab - zuletzt wegen seiner abgespeckten Figur.
"Vor Alterslarmoyanz", schreibt Alex Rühle in der SÜDDEUTSCHEN über die Pumuckl-Erfinderin Ellis Kaut, "schützte sie ihr bayerischer Humor. Zu ihrem 90. Geburtstag wünschte sie sich 'Gesundheit – und dass alle so lange leben wie ich, damit ich niemand sterben seh'. Sie ließ damals nur anklingen, dass das Älterwerden 'nicht ganz leicht ist. Aber ich bin durchaus neugierig, was kommt'. Jetzt", so Alex Rühle, "wird sie es hoffentlich erfahren".
Wieland Freund bemerkt in der WELT:
"Der Pumuckl gehörte zum Kinderzimmerinventar der Bonner Republik wie der Hotzenplotz, Jim Knopf, Kalle Wirsch oder das Urmel. Nur erschien er nicht in Puppenkistengestalt und auch nicht verlässlich in Buchform. Fast von Anfang an war er eine crossmediale Figur. Pumuckl war mal im Radio und mal zwischen zwei Buchdeckeln, er war mal im Film und oft im Fernsehen."
Cornelia Geissler liefert in der BERLINER ZEITUNG die Zahlen: "Pumuckls Hörspielgeschichten auf Schallplatten wurden 1,7 Millionen Mal verkauft. Sie hielten in 66 Bücher Einzug. Die wurden sogar ins Japanische und Chinesische übersetzt", was Geissler "angesichts von Pumuckls Widerborstigkeit doch etwas verwundert."
Fridtjof Küchemann berichtet in der FAZ:
"Immer wieder hat es Streit um Pumuckl gegeben — nicht um sein Wesen, sondern um seine Gestalt. Erst in diesem Sommer hat Pumuckl wieder für Aufregung gesorgt, als die Figur für ein Jubiläumsbuch abermals überarbeitet worden war und befragte Kinder einer schlankeren Gestalt den Vorzug gegeben hatten. Nach einem Sturm der Entrüstung lenkte der Verlag ein."
Warum gibt es keine fülligen Fußballer mehr?
Damit sind wir beim Thema des Tages: Selbstoptimierung.
"Man soll keine Pfunde auf die Goldwaage legen", titelt die FAZ. Edo Reents analysiert unter dem Motto "Figur und Leistung" den Body-Mass-Index von Fußballern. Er erinnert an "den brasilianischen Stürmer Ailton, den vorerst und womöglich für alle Zeiten Letzten seiner Art: nämlich den etwas (Betonung auf 'etwas') fülligeren Fußballer. Diese Spezies gilt heute als so gut wie ausgestorben. Nur deswegen können es sich die Vereine und deren Ausrüster erlauben, ihre Spieler in immer engere Trikots zu stecken, die ja sonst aussähen wie Wurstpellen oder Ganzkörperkondome".
Aber das Gewicht ist ja keineswegs die einzige Stellschraube bei der Selbstoptimierung. Unter der Überschrift "Neue Menschen" sagt der Philosoph Konrad Paul Lissmann im FAZ-Interview:
"Die ganz neue Qualität der Debatteüber Optimierung ist: Es geht jetzt um Maßnahmen, die in die Hardware des Menschen eingreifen. Manchmal", so Lissmann, "dringt durch aufsehenerregende Berichterstattung an die Öffentlichkeit, mit welchen abstrusen Wünschen Schönheitschirurgen konfrontiert werden. Aber eine wirkliche Diskussion darüber fehlt: Ist jedes Motiv, nur weil es das Motiv eines Menschen ist, gerechtfertigt?"
Modische Tugenden der jungen Damen von heute
"Brandzeichen auf Mädchenhaut" sieht Hannelore Schlaffer immer häufiger im Stadtbild – auch eine Form der Selbstoptimierung. Schlaffer geht ihr in der NZZ nach:
"Schlank, unreif und vor allem bauchlos muss die Trägerin sein, schnell und übermütig, billig die Kleidung. Modische Tugenden der Dame von einst, Eleganz, Vornehmheit, Dezenz, Würde gar sind mit den neuen Angeboten nicht herzustellen. Die weibliche Kleidung hat eine Tendenz zur Päderastie. Neben einem Indiz für Jugendlichkeit ist Branding auf der Mädchenhaut ein Hinweis auf ein noch viel allgemeineres Gesetz aller modischen Neuerung – auf ihre Abkunft aus der männlichen Kleidung. Das Tattoo war ursprünglich ein Schmuck der Krieger und Matrosen."
Heute schmückt es junge Mädchen und nicht-übergewichtige Fußballer. Womit wir noch einmal bei Edo Reents' Fußballer-Porträts in der FAZ wären:
"(Gerd) Müller mit seinen dicken Beinen und (Günter) Netzer mit seinen langen Haaren: Das waren prägende Eindrücke für jemanden, der zwischen 1972 und 1974 anfing, Fußball zu schauen – merkwürdig und erfreulich, dass auch zwei Spieler mit solchen Auffälligkeiten so gut und wichtig waren; man hatte jedenfalls nicht das Gefühl, dass etwas nicht stimmte."
Und niemand wäre damals auf die Idee gekommen, Pumuckl einen Waschbrettbauch zu verpassen. Dass das verhindert wurde, hat Ellis Kaut jetzt nicht mehr sehen können. Leider. Sie fand den schlanken Kobold, wie mehrere Feuilletons melden, nämlich "scheußlich".
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